Lernen, an sich selbst zu glauben
Gabriel hatte als Baby eine Hirnblutung – heute besucht er eine Regelschule
Gabriel macht vieles mit links: abstützen, hochziehen, greifen. Links ist die starke Seite des Sechsjährigen. Seine rechte Hand hat er lange gar nicht wahrgenommen. Nicht wahrnehmen können. Denn als Baby erlitt Gabriel eine Hirnblutung. Die Folgen: Er schaute nicht nach rechts, nutzte seine rechte Hand nicht, hatte motorische Defizite und machte seine ersten Schritte mit zwei Jahren. Fahrradfahren? Klettern? Eine Regelschule besuchen? Glaubte man den Ärzten, war das undenkbar. Dass es nicht unmöglich ist, hat der Schüler mittlerweile allen gezeigt: Denn heute kann Gabriel all das. Große Fortschritte hat der Erstklässler auf seinem Weg auch im AMBULANTICUM gemacht.
Schwere Diagnose
„Nach der Diagnose teilten uns die Ärzte mit: Haben sie nicht so viele Erwartungen. Gabriel wird vieles nicht können“, sagt Daniel Funke, Gabriels Vater, und seine Stimme klingt brüchig, wenn er von der schweren Zeit nach Gabriels Geburt erzählt. „Das hat meine Frau und mich natürlich niedergeschlagen.“ Das Elternpaar stand unter Schock, konnte den Ärzten aber keinen Glauben schenken. „Wir haben unser Kind gesehen und gedacht: Er wird mehr können“, so Mutter Stefanie.
„Es muss doch noch mehr geben.“
Sie beginnen mit einer intensiven Frühförderung, Gabriel bekommt Physiotherapie und Ergotherapie. Regelmäßig besucht eine Therapeutin die Familie, arbeitet mit Gabriel vor Ort, hilft bei der Wahl weiterer Unterstützungsangebote. Auch seine Eltern machen zu Hause Übungen mit ihm, setzen immer wieder auch kleine Hilfestellungen um: Sie bauen eine Rampe, um ihr Kind beim Krabbeln lernen zu unterstützen. Ein gehäkeltes Band mit Glöckchen an der kleinen rechten Hand soll die Aufmerksamkeit auf die schwache Seite lenken. Als Gabriel 2,5 Jahre alt ist, kommt sein Bruder Jakob zur Welt. „Das hat Gabriel auch immer wieder unheimlich motiviert“, blickt Stefanie Funke zurück. Als der Kleine zu krabbeln beginnt, ahmt auch Gabriel die Bewegungsabläufe nach und wiederholt diesen Entwicklungsschritt nochmal.
Neben der intensiven Förderung und Therapien informiert sich das Ehepaar auch über andere Möglichkeiten, ihren Sohn zu unterstützen. „Das alles war ja schön und gut. Aber wir haben immer gedacht: Es muss doch noch mehr geben“, schildert der Familienvater. Seine Frau recherchiert. Sie stößt auf die gerätegestützte Therapie und auf das AMBULANTICUM. „Wir haben direkt gesagt: Das probieren wir aus und schauen, wie Gabriel die Therapie annimmt“, erzählen beide.
Bessere Körperwahrnehmung
Die Technikerkrankenkasse genehmigt die Intensivtherapie. Im September 2020 ist Gabriel zum ersten Mal in dem Herdecker Therapiezentrum. Sieben Wochen – drei Wochen im September, zwei Wochen im November und zwei weitere im März 2021 – arbeitet er mit dem Therapeutenteam. Mit großem Erfolg. „Als wir begonnen haben, wusste Gabriel, dass er seine rechte Hand braucht, wenn er bestimmte Sachen machen möchte“, erklärt Daniel Funke. „Das hatte er verstanden.“ Während der therapeutischen Einheiten lernt er, die rechte Hand unbewusst zu nutzen. Er gewinnt an Sicherheit. Weiß, er kann sich abstützen, abfangen – auch mit rechts. „Seine ganze Körperwahrnehmung hat einen enormen Schub bekommen“, findet Daniel Funke. Mit jeder Verbesserung glaubt Gabriel mehr an sich selbst. Probiert Neues aus. Gabriel traut sich, allein Fahrrad zu fahren. Bei Ausflügen auf den Spielplatz klettert er. Von sich aus. Ohne Motivation und Zuspruch von außen. „Das hat er sonst nie gemacht“, freuen sich die Eltern. „Das sind dann die besonders schönen Momente.“
Bewusste Entscheidung für die Regelschule
Im Ambulanticum fassen sie auch die Entscheidung, ihren Sohn auf eine Regelschule zu schicken – und die Anmeldung an einer Förderschule rückgängig zu machen. „Da haben uns die Gespräche mit Marion Schrimpf sehr geholfen“, so Daniel Funke. Die Ambulanticum-Geschäftsführerin plädierte dafür, Gabriel so starten zu lassen, wie alle anderen. Ihn nicht aus seinem sozialen Umfeld herauszunehmen und mit dem Bus eine halbe Stunde zur Schule fahren zu lassen. Stattdessen wurde der Junge mit seinen Kindergartenfreunden eingeschult und bekommt Unterstützung von einem Schulbegleiter. Dass ihr Sohn all das schafft und kann, überrascht die Eltern nicht. „Wir haben immer gemerkt: Er kann vieles. Er braucht nur die richtige Unterstützung“, betont StefanieFunke.
Potenziale des Patienten im Fokus
Diese hat die Familie auch im AMBULANTICUM gefunden. „Die positive Einstellung des ganzen Teams, die herzliche Atmosphäre und vor allem die individuelle Therapie haben uns sehr geholfen“, weiß Daniel Funke. „Die Potenziale des Patienten stehen im Mittelpunkt. Nicht seine Schwächen.“ Der Vater lächelt und seine Frau fügt hinzu: „Gabriel hat hier vor allem eines gelernt: Du kannst viel mehr als du denkst – und als die anderen gedacht haben.“