Nach der Risiko-OP im Rollstuhl

Fritz Grupe galt als austherapiert, im Ambulanticum lernt er das Laufen wieder

Eigentlich sollte der Drei-Jahres-Check beim Hausarzt nur Routine sein – doch die Untersuchung setzte für Fritz Grupe einen OP-Marathon in Gang. Der rettete ihm zwar das Leben, führte ihn aber gleichzeitig in ein Leben voller Herausforderungen: Bei einem der Eingriffe wurde sein Rückenmark verletzt und der 69-Jährige konnte von einem Tag auf den anderen nicht mehr laufen. Nach Irrwegen durch Rehakliniken hat Fritz Grupe mit dem Ambulanticum ein Therapiezentrum gefunden, das ihn dabei begleitet, wieder auf die Beine zu kommen – und das im wahrsten Sinne des Wortes.

Rückenmark verletzt

Von der Routineuntersuchung zur Risiko-OP und in den Rollstuhl: Als der Hausarzt beim Gesundheitscheck hohen Blutdruck und Probleme am Herzen festgestellt hatte, ging alles ganz schnell. Ein MRT zeigte drei Aneurysmen an der Aorta. Drei Operationen waren notwendig. Der erste Eingriff verlief problemlos. Nach dem zweiten verrutschten die Stents, die gelegt wurden, und setzten sich vor den Niereneingängen fest. „Das ist eigentlich tödlich“, sagt Fritz Grupe nachdenklich. Eine zehnstündige Operation sollte das Schlimmste abwenden – und ging schief. „Bei dem Eingriff wurde das Rückenmark beschädigt“, erinnert sich der Hamburger, der nach der Operation seine Beine nicht mehr fühlen konnte. „Die Ärzte sagten mir da noch, dass ich in zwei Wochen wieder laufen könne“, denkt Fritz Grupe an die Zeit zurück. „Aber das war nicht so.“ Die spätere Diagnose lautete: Paraparese in beiden Beinen

Arzt attestiert „austherapiert“

Der damals 69-Jährige kam in eine Rehaklinik nach Berlin, wurde dort drei Monate lang therapiert. „Mehr schlecht als recht“, betont der ehemalige Unternehmensberater. Patienten unterschiedlichster Fachrichtungen, Gruppen- statt Einzeltherapien, keine festen Therapeut*innen und der beklemmende Eindruck, einfach nur „untergebracht“ worden zu sein: „Ich habe mich sehr alleingelassen gefühlt“, so Fritz Grupe, der auch in einer Tagesklinik in seiner Heimatstadt keine Fortschritte mehr machte. „Ich konnte am Rollator laufen, aber mehr nicht.“ Die Abschlussuntersuchung des Neurologen zerstörte alle Hoffnungen auf Besserung. Der Arzt attestierte Fritz Grupe, er sei „austherapiert“. Für den Mann, der zumindest wieder am Gehstock laufen wollte, war das ein herber Schlag. „Ich wollte nicht auf den Rollator angewiesen bleiben“, so Fritz Grupe, der im Laufe seiner Erkrankung auch immer wieder mit schweren seelischen Tiefs zu kämpfen hatte. „Für mich fühlte sich das so an, als sei ich nicht vollständig.“

Abseits klassischer Therapiewege

Dann kam der Vorschlag von der Techniker Krankenkasse, der die Wende brachte: ein Kennenlerntermin im Ambulanticum. Von Anfang an fühlte sich Fritz Grupe in dem Herdecker Therapiezentrum gut aufgehoben. „Alle Therapeut*innen sind fachlich zugewandt, sehr kompetent, empathisch und auch kreativ“, sagt er und lächelt. „Jeder neurologische Patient ist anders und für jeden werden gute Lösungen gefunden – auch abseits der „klassischen“ Therapien.“ So gab es für Fritz Grupe neben Gang- und Gleichgewichtstraining, Krankengymnastik und vielen Einheiten auf dem C-Mill auch mal den ein oder anderen Spaziergang über den Parkplatz oder auch zum Wald – ohne Rollator, nur gestützt durch die Hand seiner Therapeut*innen. „Einmal habe ich mit einer Therapeutin auch langsamen Walzer getanzt. Und das ging gut.“ Fritz Grupe nickt zufrieden. Nach der dritten Intensivtherapie in der Einrichtung kann er einige Schritte ohne Hilfsmittel gehen. „Alles andere ist jetzt Übungssache“, sagt er. „Dass ich so weit komme, hätte ich nicht gedacht. Das haben die Menschen und die Therapien im Ambulanticum erreicht – kein anderer hat das geschafft.“

Alles auf Anfang

Sarah Kraft lernte nach einem schweren Schädelhirntrauma das Laufen und Sprechen neu

Langsam setzt Sarah Kraft einen Fuß vor den anderen. Schritt für Schritt geht sie die Treppe hinauf. Ohne Gehstock. Ohne sich am Geländer festzuhalten. Lange Zeit sah es nicht so aus, als würde die 35-Jährige jemals wieder selbstständig laufen können. Nach einem schweren Schädelhirntrauma lag sie monatelang im künstlichen Koma, war zwei Jahre auf den Rollstuhl angewiesen. Doch Sarah Kraft straft ihre Prognose Lügen und kämpft sich zurück in ein selbstständiges Leben – auch mit Hilfe der Intensivtherapie im Ambulanticum.

Drei Mal war die Hamburgerin bereits zur Therapie in Herdecke. Das erste Mal im April 2019, zum letzten Mal Anfang 2023 – und mit jeder Therapiephase hat Sarah Kraft einen weiteren Erfolg verbucht. „Zur ersten Therapiephase kam ich mit dem Gehwagen. Nach vier Wochen habe ich das Ambulanticum mit dem Gehstock verlassen“, erzählt Sarah Kraft. Sie spricht langsam. Konzentriert. Auch ihre Sprache musste sie erst wiederfinden. Mehr als zwei Jahre dauerte es, bis sie wieder sprechen konnte. 

Echte Meilensteine

Logopädie war auch während der dritten Phase im Ambulanticum ein fester Bestandteil der Therapie. Ebenso wie Ergotherapie und gerätegestützte Übungen. Sie bekam Physiotherapie, war täglich auf dem C-Mill, trainierte ihr Gleichgewicht, stärkte ihre Rumpfmuskulatur und arbeitete mit ihren Therapeut*innen an dem Bewegungsausmaß ihres rechten Arms. „Rechts ist meine schwache Seite“, erklärt Sarah Kraft. „Der Arm war lange sehr spastisch.“ Mittlerweile kann Sarah Kraft aber nicht „nur“ wieder frei laufen, sondern auch ihren rechten Arm viel besser steuern und einsetzen. „Der rechte Arm hat sich so toll entwickelt. Das ist ein echter Meilenstein für mich“, freut sich die gelernte Industriekauffrau, die im letzten Jahr bereits Praktika bei ihrem Arbeitgeber absolvieren konnte und wieder stundenweise ins Berufsleben zurückkehren wird. 

Niemals aufgeben

Das Ereignis, das Sarah Kraft aus ihrem früheren Leben gerissen hat, welches sie sehr liebte, war ein schwerer Autounfall. Im Dezember 2016 war die damals 29-Jährige auf dem Weg nach Hause, als sie beim Überqueren der Straße von einem Auto erfasst und schwer verletzt wurde. Im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf kämpfte sie zwei Wochen lang um ihr Leben. An dem Geburtstag ihrer Mutter wachte sie aus dem viermonatigen Koma auf –  und war ein Pflegefall. Sie musste alles neu lernen. „Ich hatte zwischendurch auch ein ganz schönes Tief und wollte so nicht mehr weitermachen“, blickt Sarah Kraft zurück. Aufgegeben hat sie trotzdem nicht. Auf zwei Jahre Reha folgten unzählige Therapieeinheiten – in Therapiezentren und auch zu Hause. 

Zukunftspläne

„Meine Mutter, mein Freund und meine Freunde haben mich nicht aufgegeben und waren für mich da, das hat mir sehr viel Kraft gegeben“, sagt sie heute. Die schöpft sie auch aus ihrer Zeit im Ambulanticum, auf das sie durch ihren Rehamanager aufmerksam wurde. „Im Ambulanticum liegt der Fokus auf jedem einzelnen Patienten. Jeder wird ernst genommen. Die Therapeut*innen sind herzlich und leben und lieben ihren Job. Sie sehen den Menschen“, betont Sarah Kraft, die weiterkämpft und Pläne für die Zukunft schmiedet: „Ich möchte wieder arbeiten. Und Autofahren. Sicher laufen können. Und Stück für Stück meine Eigenständigkeit zurückgewinnen.“

Der Diagnose zum Trotz

Elisabeth Emunds trainiert für ein Leben ohne Rollstuhl

Als Elisabeth Emunds für eine Operation an der Bandscheibe ins Krankenhaus musste, hätte sie nie gedacht, dass dieser Eingriff ihr Leben von Grund auf ändern würde. Doch die Operation an der Brustwirbelsäule wurde für die damals 53-Jährige zum Schicksalsschlag: Der Ausgang der OP verlief nicht wie geplant. Als Elisabeth Emunds aus der Narkose erwachte, war sie querschnittsgelähmt.

„Das Erste, was man mir sagte, als ich wieder wach war, werde ich nie vergessen“, sagt die Berufsschullehrerin. „Sie werden nie wieder irgendetwas können“, lautete die niederschmetternde Diagnose der behandelnden Ärzte. Sie müsse sich damit abfinden, dass ihr Leben mit dieser inkompletten Querschnittslähmung nie wieder werde wie vorher.

Klares Ziel vor Augen

So wie vorher ist das Leben von Elisabeth Emunds mehr als ein Jahr nach der OP nicht. Aber sie kämpft sich zurück ins Leben, hat die Diagnose nie akzeptiert. „Vielleicht habe ich sie auch einfach nicht in ihrer ganzen Bedeutung verstanden“, sagt Elisabeth Emunds heute. „Aber mir war klar, ich will wieder laufen.“ Diesem Ziel ist sie in den vergangenen Monaten ein großes Stück nähergekommen – mit viel Kampfgeist, Einsatz, Unterstützung und Therapien, die sie auch im Herdecker Ambulanticum absolvierte. Mittlerweile kann Elisabeth Emunds am Rollator laufen und wenn sie ihre Orthese am linken Bein trägt, kommt sie mit einer Krücke Schritt für Schritt ein paar Treppenstufen voran.

Der Weg ins Ambulanticum

Der Weg dorthin war lang. Direkt nach der Operation ging es für Elisabeth Emunds in eine Akutklinik nach Bochum. „Da kamen erste Funktionen zurück“, erinnert sie sich. Vier Monate lang war sie in Bochum in Behandlung, und lernte mit dem Unterarmgehwagen und im Barren ein paar Schritte zu gehen. „Aber nur sehr, sehr wackelig und mit viel Unterstützung“, blickt Elisabeth Emunds zurück.

Während der Anschlussbehandlung in Bad Wildbad hörte sie zum ersten Mal vom Ambulanticum Herdecke. Ein Mitpatient gab ihr den Hinweis auf das interdisziplinäre Therapiezentrum. Sie nahm Kontakt auf, machte einen Kennenlerntermin aus und begann im Mai 2022 ihre erste Intensivtherapie. Sie hatte fünf Stunden am Tag Therapie, trainierte im Lokomaten, im 3D-Spacecurl, und im Kraftraum, hatte Krankengymnastik, Bewegungs- und Ergotherapie. „Der Fokus lag zu der Zeit ganz auf der Stärkung der Rumpfmuskulatur“, so Elisabeth Emunds. „Rumpf ist Trumpf. Ich weiß nicht, wie oft ich das gehört habe.“ Sie lächelt.

Ein Riesenerfolg

Die Arbeit an mehr Stabilität zahlte sich aus. In der zweiten Intensivtherapie bekam sie ihre Orthese angepasst, lernte mit dem Rollator zu gehen. In der dritten Intensivphase trainierte sie auch schon auf dem C-Mill-Laufband. „Mittlerweile kann ich mich 150 Meter mit Rollator fortbewegen“, sagt Elisabeth Emunds. „Das ist für mich ein Riesenerfolg.“ Ebenso wie die Tatsache, dass sie mit Krücke und Handlauf auch ein paar Stufen gehen kann und bei der Arbeit die Wege bis zum Lehrerzimmer nicht mehr im Rollstuhl absolvieren muss. „Es hat mir sehr geholfen, dass wir im Ambulanticum viele Situationen und Bewegungen aus meinem Alltag simuliert und trainiert haben“, betont Elisabeth Emunds. Für sie ist klar: Sie kommt weiter ins Ambulanticum, die nächste Therapiephase steht und ist für Anfang 2023 angesetzt. „Nach meiner Prognose hätte keiner gedacht, dass ich mal dahin komme, wo ich jetzt bin“, sagt Elisabeth Emunds, die aber noch weiterkommen möchte. „Ich habe den Traum, auch wieder ohne Rollator laufen zu können.“

„Ich musste ganz von vorne anfangen.“

Georg S. kann nach Querschnittlähmung wieder laufen

Der 6. Dezember 2016 war ein ganz normaler Arbeitstag für Georg S.. Der Maler und Lackierer arbeitete gerade in drei Metern Höhe, als er von der Leiter fiel. Er stürzte zu Boden. Die Leiter traf ihn am Kopf. Der Iserlohner erlitt ein offenes Schädelhirntrauma, brach sich einen Lendenwirbel. „Es ging gar nichts mehr“, sagt Georg S.. „Ich musste ganz von vorne anfangen.“ Im Ambulanticum fand er die richtige Therapie: Heute kann Georg S. wieder laufen. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Ein Rettungshubschrauber brachte Georg S. ins Krankenhaus, wo er ins künstliche Koma versetzt wurde. Die Diagnose lautete: inkomplette Querschnittslähmung. Die Prognose ließ offen, ob der heute 52-Jährige jemals wieder laufen können wird. Eine lange Reha- und Therapiegeschichte begann. Wochenlange Krankenhausaufenthalte, langes Warten auf einen Betreuungsplatz. Denn zurück ins eigene Zuhause konnte Georg S. erst einmal nicht. Er brauchte Hilfe – rund um die Uhr.

Motiviert statt deprimiert

Helfen sollten auch die Medikamente, die er bekam. „Und das waren sehr viele“, erinnert sich seine Lebensgefährtin. Die Tabletten blieben nicht ohne Nebenwirkungen. Georg S. nahm 30 Kilo zu, konnte sich nicht konzentrieren, entwickelte einen Tremor, zitterte ständig. Als er im November 2018 zum ersten Mal im Ambulanticum war, war ihm alles zuviel. „Die Therapeuten haben mit Engelszungen auf mich eingeredet“, sagt Georg Seelbach heute. „Aber es fehlte an der Konzentration, ich war deprimiert, wenig motiviert.“ Nach nur vier Tagen brach er die erste Therapiephase ab.

In Absprache mit seinem Neurologen entschieden Georg S. und seine Lebensgefährtin die Medikamente neu zu dosieren – indem sie sie reduzieren. Im April 2019 wurde ein Anti-Epilektikum langsam ausgeschlichen. „Das war die richtige Entscheidung“, weiß Georg S. heute. Er konnte sich wieder konzentrieren, war motiviert nicht deprimiert, verlor Gewicht und konnte sein Ziel verfolgen: endlich wieder zu laufen.

Ein großes Stück Selbstständigkeit

Zwölf Mal ist er seitdem zur Intensivtherapie im Ambulanticum gewesen. Im Sommer 2019 schaffte er zum ersten Mal 200 Meter auf dem C-Mill, etwas später stieg er Treppenstufen hoch. Erst lief er am Unterarmgehwagen, dann lernte er, mit Nordic Walking Stöcken zu gehen und mit Rollator voranzukommen. Er arbeitete mit seinem Therapeut:innen an seiner Rumpfstabilität, übte Gewichtsverlagerung, absolvierte Neuroathletik-Übungen und trainierte seine Feinmotorik. Während des ersten Corona-Lockdowns war er drei Monate lang zu Hause. Die Werkstatt, in der er arbeitet, war geschlossen. Also trainierte er unterstützt von seiner Lebensgefährtin viel mit dem Rollator. Mit Erfolg: Zu seiner Therapiephase im Juni 2020 betrat er das Ambulanticum zum ersten Mal nicht im Rollstuhl, sondern mit Rollator.

Seit seinem ersten Aufenthalt im Ambulanticum hat sich viel getan: Sein Gleichgewicht ist stabiler geworden, Übungen im Space Curl kann Georg S. besser umsetzen. „Ich habe mir ein großes Stück Selbstständigkeit erarbeitet“, sagt Georg S., der seit Ende 2021 auch wieder zu Hause wohnt.  Das Eigenheim wurde während seiner Krankenhausaufenthalte umgebaut und durch die Therapien und Übungen im Ambulanticum kann der 52-Jährige sich alleine anziehen, Hände waschen, Geschirr aus den Schränken holen und stehen. „Die Zeit im Ambulanticum hat mich ordentlich nach vorne gebracht. Allein frei stehen zu können, war für mich ein enorm wichtiger Schritt“, sagt Georg S.. „Und ich arbeite weiter. Ich mache immer noch Fortschritte, auch wenn sie kleiner sind.“

„Nele ist eine Kämpferin.“

Mit Therapie und starkem Willen zu mehr Selbstständigkeit

Notkaiserschnitt. Zwei Operationen. Drei Monate Krankenhaus: Neles Start ins Leben war nicht leicht – und erst der Anfang einer langen Krankheitsgeschichte. Das kleine Mädchen war neurologisch auffällig. Konnte auch mit 1,5 Jahren nicht sitzen, nicht krabbeln. Eine Diagnose gab es nicht. Eine Prognose schon: Die Ärzte waren sicher, Nele würde nie laufen. Nie sprechen.  Heute ist Nele zwölf Jahre alt. Sie kann einige Schritte frei laufen. Sie erzählt. Kann etwas rechnen. Ein paar Wörter schreiben. All das hat Nele sich hart erkämpft. Mit ihrer Familie. Mit vielen Therapeuten. Und auch mit Unterstützung des Ambulanticum.

Kurzbesuch zum 10-Jährigen

Als Nele durch die Eingangstür des Therapiezentrums geht, strahlt sie. Hier kennt sie sich aus. Auch, wenn sie schon lange nicht mehr da war. Doch der Kurzbesuch zum 10. Geburtstag des Ambulanticum weckt viele Erinnerungen. An viele Wochen voll mit Trainingsstunden und Fortschritten, Rückschlägen und Hürden, Unterstützung, Motivation und Kampfgeist. „Nele ist einfach eine Kämpferin. Und ein Dickkopf“, Sandra Kohlof, Neles Mutter, lacht. „Sie hat sich nicht unterkriegen lassen.“

Intensivtherapie im Ambulanticum

2014 war Nele zum ersten Mal vor Ort. Eine Therapeutin hatte die neurologische Nachsorge der Herdecker Einrichtung empfohlen. „Sie war mit ihrem Latein am Ende“, blickt ihre Mutter zurück, die mit Nele bei vielen Therapeuten war. Erst arbeiteten sie mit der Therapie nach Bobath. Später nach Vojta. Das brachte Fortschritte. Aber krabbeln oder laufen konnte Nele mit  4 Jahren noch nicht . Im Ambulanticum bekam sie insgesamt drei Intensivtherapien mit Training am Lokomat, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Hirnleistungstraining. „Das volle Programm“ erzählt Sandra Kohlof, die mit Nele auch zwischen den Therapiephasen zur Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie ins Ambulanticum fuhr. „Morgens war Nele dann im Ambulanticum, nachmittags im Kindergarten“, sagt die Mutter.

Die ersten Schritte ohne Hilfe

 Der Einsatz zahlt sich aus. Neles Sprachbild verbessert sich. Ihre Fein- und Grobmotorik auch. Sie fängt schnell an zu krabbeln, lernt an der Hand einige Schritte zu gehen. Heute läuft die Nele bis zu 25 Schritte allein. Bei ihrem Besuch im Ambulanticum geht sie ohne Hilfe zum Spacecurl, in dem sie auch als kleines Kind schon gerne trainiert hat. Als sie das Gerät noch einmal ausprobieren darf, hat Nele wieder Spaß. Sie lacht während Peter Meisterjahn, Therapeutischer Leiter im Ambulanticum, mit ihr trainiert – so wie früher.

 „Ohne das Ambulanticum wären wir nicht da, wo wir heute sind“, ist Sandra Kohlof überzeugt. „Nele hat sich viel Selbstständigkeit erarbeitet.“ Die Zwölfjährige geht gerne in die Schule, mag es, mit ihrem Therapiefahrrad unterwegs zu sein, spielt Keyboard. „All das wäre laut der frühen Prognosen nicht möglich gewesen“, sagt ihre Mutter, während sie zu ihrer Tochter blickt und lächelt. „Da hat Nele allen das Gegenteil gezeigt.“

Von wegen für immer

Rainer Erb kämpft sich aus dem Rollstuhl – und hat ein Buch darüber geschrieben

Rainer Erb sitzt an seinem Computer und arbeitet, als seine Knie plötzlich schwach werden. Der 55-jährige Zimmermeister fällt vom Stuhl – und kann sich nicht mehr bewegen. Von jetzt auf gleich ist er querschnittsgelähmt. Die Ursache ist bis heute unbekannt. Die erste Prognose lautet: Rollstuhl für immer. Ein Schicksal, in das sich Rainer Erb nicht fügen möchte. Er kämpft dafür, wieder auf die Beine zu kommen. „Von wegen für immer“ ist sein Motto – und der Titel eines Buches, das seine Geschichte erzählt.

Im Labyrinth aus Therapien und Anträgen

Zwölf Tage Erstversorgung im Krankenhaus Fulda. Sieben Monate in einer Spezialklinik in Bad Wildungen. Dann drei Monate Reha mit Vojta- und Wassertherapie. Nach den ersten sechs Monaten gibt es kleine Fortschritte, Rainer Erb kann ein Bein leicht bewegen. Zurück zu Hause beginnt die Physiotherapie vor Ort – bis zu 20 Stunden in der Woche arbeitet Rainer Erb an seinem Ziel, wieder laufen zu können. 

„Momentan gibt es für mich Therapie, Essen, Schlafen und Trinken“, sagt der Fuldaer. Aber für ihn gibt es auch:  ein Labyrinth aus Therapiemöglichkeiten, Anträgen und Absagen. Auch hier kämpft Rainer Erb sich durch – und schreibt alles auf. Das, was ihm durch den Kopf geht. Das, was er aus den Therapien mitnimmt. Das, was er im Bürokratiedschungel erreicht. Die Aufzeichnungen helfen ihm, seine Situation zu verarbeiten. Sie stützen ihn, treiben ihn an und werden die Grundlage seines Buches, mit dem er vor allem eines erreichen möchte: anderen helfen, die in einer ähnlichen Situation sind. „Ich möchte zeigen, dass man die Dinge auch selbst in die Hand nehmen muss, um was zu erreichen“, betont Rainer Erb.

Ein Training, das fordert und fördert

Die Arbeit an seinem Buch führt ihn auch ins Ambulanticum: Seine Biographin, Dagmar Wagner, macht ihn auf die ambulante Therapieeinrichtung aufmerksam. Schon beim Blick auf die Website merkt er: Die machen genau das, was ich brauche. Ein intensives, individuelles Training, das fördert und fordert. „Dabei gehe ich an meine Leistungsgrenze. Ich lasse nicht locker“, erzählt Rainer Erb, der von dem Therapiekonzept und der Umsetzung überzeugt ist: „Die Therapeut:innen sind richtig gut geschult und die vielen Hilfsmittel und Trainingsgeräte gibt es woanders in dieser Form nicht.“

Frei laufen – bis zur Rente

Gemeinsam mit seinen Therapeut:innen arbeitet Rainer Erb zurzeit daran, frei zu stehen, am Rollator zu gehen sowie an seiner Motorik und der Kraftentwicklung. „Mittlerweile drücke ich 20 Kilo mehr als in der letzten Therapiephase“, sagt er nicht ohne Stolz. Auch die Stabilität im Rumpfbereich hat sich wesentlich verbessert: „Zu Beginn war ich nach zehn Minuten Spacecurl-Training klatschnass geschwitzt – jetzt geht es mir danach gut. Das kann ich dem Ambulanticum zuschreiben.“ Im März kommt er noch einmal für eine weitere Intensivtherapie zurück ins Ambulanticum – und seinem Ziel vielleicht wieder ein ganzes Stück näher: „Bis zu meiner Rente in sieben Jahren möchte ich frei laufen können“, sagt Rainer Erb, während er sich auf den Weg zur nächsten Therapieeinheit macht. „Und dann. Dann schreibe ich ein zweites Buch“, sagt er. Und lächelt.

Weitere Infos zum Buch gibt es hier.

Der Wille, helfen zu wollen

Assistenten im Alltag unterstützen bei Ambulanticum-Aufenthalt

Für Borislav Davidkov war es ein ganz normaler Arbeitstag. Der Architekt hatte eine Besprechung, stand vor vielen Menschen in einem Raum mit wenig Sauerstoff. Auf einmal brach er zusammen, schlug mit dem Kopf auf dem Tisch auf, wurde bewusstlos – und wachte in einer völlig neuen Lebenssituation wieder auf: Seit dem Unfall ist der 53-Jährige vom Hals abwärts gelähmt. Im Ambulanticum möchte er sich einen möglichst normalen, selbstständigen Alltag erarbeiten. Dabei bekommt er Unterstützung von den „Assistenten im Alltag“. Der Assistenzdienst aus Unna begleitet und betreut den Frankfurter während seiner Intensivtherapie – 24 Stunden lang, rund um die Uhr.

Aufstehen, vom Bett in den Rollstuhl kommen, waschen, essen. Bei all diesen Tätigkeiten braucht Borislav Davidkov Hilfe. Durch seinen inkompletten Querschnitt hat er eine schwache Rumpfstabilität. Lange Zeit konnte er nicht ohne Rückenlehne oder auf einem normalen Stuhl sitzen. Es fällt ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten und seine Beine zu nutzen. Auch die Arme sind in den Bewegungen eingeschränkt, die Hände kann er nur leicht einsetzen. Die ambulante Therapie im Ambulanticum – die Wechsel zwischen den Therapieräumen, die Trink- und Essenspausen – wären ohne Assistenten für ihn nicht machbar. „Trotzdem ist eine Therapie bei uns möglich“, betont Marion Schrimpf, Geschäftsführerin der Herdecker Einrichtung.

Ängste nehmen. Vertrauen aufbauen.

Nach Sichtung aller Anträge, Untersuchungsergebnisse und Klinikunterlagen griff sie zum Telefon und schlug Borislav Davidkov für die Therapiephasen die Zusammenarbeit mit einem Assistenzdienst vor. Der nahm den Vorschlag an und Kontakt zu Mark Oberstadt, Gründer und Geschäftsführer der „Assistenten im Alltag“, auf. „Ich wusste nicht, was mich erwartet, war unsicher und hatte viele Fragen“, erinnert sich der Ambulanticum-Patient an das erste Telefonat. Doch die Sorgen wurden ihm schnell genommen. „Ich habe sofort den Eindruck bekommen: Das sind erfahrene Leute, die kennen sich aus. Die Zuversicht, die verbreitet wurde, hat auch meine letzten Zweifel beseitigt.“ Ängste nehmen. Vertrauen aufbauen. Zuhören. Das ist Mark Oberstadt und seinem Team sehr wichtig. „Wir verbringen ja viel Zeit mit unseren Kunden, unterstützen auch in Pflege- oder privaten Situationen. Da muss die Chemie stimmen – und das Vertrauen auch.“

Möglich machen, was möglich sein muss

Auf das erste Telefonat folgte ein Kennenlerntag, an den beide schmunzelnd zurückdenken: Als die Assistenten mit ihrem Transporfahrzeug – einem Caddy – vorfuhren, war dem 1,95 Meter großen Borislav Davidkov sofort klar: „Mit Elektrorollstuhl passe ich da nicht rein“. Und er sollte recht behalten. „Da hatte ich mich etwas verschätzt“, erzählt Mark Oberstadt und muss bei der Erinnerung lachen. Ein Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit war das aber nicht. Der Geschäftsführer des Unnaer Assistenzdienstes schaffte kurzerhand ein größeres Fahrzeug an: „Wir versuchen immer, möglich zu machen, was möglich sein muss.“

Enge Abstimmung: Ambulanticum und Assistenzdienst

Der Fahrdienst vom Appartment zum Ambulanticum ist allerdings nur eine von vielen Aufgaben, die das Assistenzteam übernimmt. Zwischen acht bis neun Assistent:innen,- darunter auch Pflegekräfte – kümmern sich im Wechsel, aufgeteilt in Tages- und Nachtschichten, um die 24-Stunden-Betreuung. Sie kaufen ein, kochen, helfen bei der Körperpflege, beim Umziehen, beim Transfer in den Rollstuhl und unterstützen während der Therapiezeiten, wann und wo es nötig ist.

Dabei arbeitet das Team eng mit dem Ambulanticum zusammen. So wurde zum Beispiel der Therapieablauf flexibel geregelt: „Da die Morgenroutine vom Weckerklingeln bis zur Abfahrt mit dem Transporter rund drei Stunden benötigt, fängt für Herrn Davidkov kein Therapietag vor 10 Uhr an“, erklärt Mark Oberstadt. „Die Zusammenarbeit mit dem Ambulanticum läuft sehr gut. Wir werden problemlos miteingebunden und das wirkt sich natürlich auch positiv auf die Betreuung aus.“ Für Borislav Davidkov hat die Kooperation zwischen Ambulanticum und Assistenzdienst die ambulante Therapie erst möglich gemacht – und geholfen auch Probleme und Unwägbarkeiten auf dem Weg zu meistern. „Es war und ist mir ganz wichtig, dass die Motivation und der Wille da sind, mir helfen zu wollen. Und beides war immer da.“

 

IM GESPRÄCH

„Im Ambulanticum merke ich, was machbar ist.“

Borislav Davidkov setzt sich in der Intensivtherapie immer neue Ziele

Lange Klinik- und Rehaaufenthalte, Ergo- und Physiotherapieeinheiten: Seit seiner unfallbedingten Querschnittlähmung vor zwei Jahren hat Borislav Davidkov schon einige Therapien und Anwendungen kennengelernt. Ein Jahr nach dem Unfall erkannte er Fortschritte in seiner körperlichen Entwicklung. In den heimischen Therapie-Einheiten gelangen Stehversuche und bald auch erste Gehversuche. Er suchte nach einer Therapie, die ihn noch intensiver unterstützt. Die Intensivtherapie im Ambulanticum ist für ihn ein neuer Ansatz: Seit August 2021 trainiert er in der Herdecker Einrichtung 5,5 Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche. Im Interview spricht er über seine Therapie und seine Ziele.

Wie erleben Sie die Therapie im Ambulanticum?

Ich finde es hier super. Die Therapie bekommt mir wirklich gut. Das Training ist effektiv, aber auch sehr anstrengend. Darum finde ich es sinnvoll und richtig, dass auf die vierwöchigen Trainingsphasen auch immer wieder Auszeiten folgen. Jede Trainingsphase bringt mich einen Schritt vorwärts. Die Trainingseinheiten und die Abstimmung der Physio-Ergo-, Logopädie- und Sporttherapie koordinieren meine Paten ganz hervorragend gezielt und individuell. Ich laufe täglich. Manche Einheiten mit gerätetechnischer Unterstützung wie im Lokomat und immer wieder am Unterarm-Rollator. Meine Selbstständigkeit in dieser Therapie zun erleben, motiviert mich sehr.  

Welche Ziele möchten Sie mit dem Training erreichen?

Grundsätzlich möchte ich so viel Selbstständigkeit und Mobilität wie möglich zurückerlangen. Ich möchte mein Gleichgewicht halten, selbstständig aufstehen, am Rollator laufen können. Am Computer arbeiten und eigenständig essen. Diese Wünsche habe ich durch das Ambulanticum in Ziele formuliert. Und hier merke ich auch, dass es machbar ist, diese Ziele zu erreichen. Vielleicht nicht alle und nicht in schnellen Schritten – aber kontinuierlich.  

Was haben Sie durch das Training bisher erreicht?

Das Team vom Ambulanticum hat hervorragende Arbeit geleistet und mir zu vielen Fortschritten verholfen. Grundsätzlich sind alle Funktionen der Arme und Beine, die ich zu Beginn der Therapie hatte, viel stabiler und selbstverständlicher geworden. Ich kann mittlerweile viel besser sitzen. Meine gesamte Rumpfstabilität hat sich enorm verbessert. Dabei hilft mir das Aufstehtraining sehr. Auch bin ich viel mobiler als zuvor und sitze viel öfter im Aktivrollstuhl. Ich weiß jetzt, wie ich meine Arme einsetzen kann und muss, um mich darin sicher fortzubewegen. Nicht immer auf den E-Rollstuhl angewiesen zu sein – das ist ein weiteres Ziel von mir. Das setzt aber voraus, dass der Transfer vom Rollstuhl in ein normales Auto funktioniert. Und das ist jetzt noch nicht möglich –  aber eines meiner zukünftigen Ziele. 

Die Therapie

Die Intensivtherapien im Ambulanticum folgen einem bewährten Behandlungsablauf, der Patient:innen und Angehörige in die Planung und Zielsetzung der Therapie miteinbezieht. Auf diese Weise entstehen sehr individuelle Trainingspläne, die kontinuierlich an die Fortschritte angepasst werden. Die Therapieeinheiten von Borislav Davidkov waren in kleine Choreografien unterteilt: Die erarbeiteten Fähig- und Fertigkeiten konnten so schrittweise in den Alltag übertragen werden. Der Patient lernt, welche Abläufe er alleine meistern kann und wo noch Unterstützung notwendig ist. Da auch Angehörige mit diesen Choregrafien und Abläufen vertraut gemacht werden, wird der gemeinsame Alltag – der Übertrag von der Therapie- zur Heimphase zu Hause – erleichtert.

Weitere Informationen zur Therapie im Ambulanticum gibt es unter www.ambulanticum.de

 

„Ich wurde zum ersten Mal gefragt, was ich erreichen möchte.“

Schülerin Anni Hilbert trainiert im Ambulanticum das Laufen – und noch viel mehr

ICP. In der Neurologie stehen diese drei Buchstaben für Infantile Cerebralparese, eine Störung des Haltungs- und Bewegungsapparats, die auf eine frühkindliche Hirnschädigung zurückgeht. Allein 2019 gab es 3.240 Fälle in Deutschland, für 2021 werden 3.328 prognostiziert. Auch Anni Hilbert lebt mit einer Infantilen Cerebralparese. Als die Schülerin ein Jahr alt war, wurde die Krankheit bei ihr diagnostiziert. Unterkriegen lässt sich die heute Elfjährige davon nicht. Im Gegenteil. Mit viel Motivation, Durchhaltevermögen und Kraft erkämpft sie sich immer weitere (Bewegungs-)Freiheiten – auch mit Hilfe von Therapien im Ambulanticum.

Vorwärts ziehen statt krabbeln

„Dass Anni motorische Verzögerungen hat, hat sich schon früh gezeigt“, blickt Annis Mutter Uta Hilbert zurück. „Sie ist zum Beispiel nie gekrabbelt, sondern hat sich vorwärts gezogen.“ Ab dem zweiten Lebensmonat bekommt Anni daher Frühförderung, arbeitet mit Physiotherapeuten. Mit zwei Jahren hat sie ihren ersten Rollator, mit drei Jahren beginnt sie das Therapeutische Reiten. In einem ambulanten Therapiezentrum bekommt Anni Manuelle Therapie, intensive Physio- und Ergotherapie. Zwei Mal im Jahr, jeweils für zwei Wochen – bis das Zentrum 2018 schließen muss.

Erste Intensivtherapie im Ambulanticum

„Einen Nachfolger gab es nicht und auch etwas Vergleichbares haben wir in unserer Region nicht gefunden“, so Uta Hilbert, die mit ihrer Familie im Süden Deutschlands lebt. Dann lesen die Eltern in der Mitgliederzeitschrift der Techniker Krankenkasse einen Artikel über das Ambulanticum. „Zu dem Zeitpunkt hatte Anni fast zwei Jahre keine Intensivtherapie mehr – und das hat man auch gemerkt. Sie selbst war unzufrieden und wollte etwas machen.“ Die Familie stellt einen Antrag auf Intensivtherapie im Ambulanticum. Ostern 2021 beginnt die erste dreiwöchige Therapieeinheit. Es folgen zwei Wochen rund um Pfingsten und zwei Wochen im Sommer.

Training mit Spaßfaktor

„Es war Annis großer Wunsch, hierhin zu gehen. Und sie liebt es hier.“ Uta Hilbert lächelt, während sie zu Anni blickt, die gerade ihre Therapieeinheit auf dem C-Mill beendet hat, einem Gangtrainer, der mit Augmented und Virtual Reality arbeitet. Auch Anni strahlt. „Das Training auf dem C-Mill ist zwar besonders anstrengend, macht aber auch Spaß“, erzählt sie, dreht ihren Rollator zurecht, setzt sich und erzählt von ihrem Training. Von den Therapieeinheiten am Lokomaten oder im 3D-Spacecurl, in dem sie sich mit Gewichtsverlagerungen um die eigene Achse dreht und auch mal Kopf steht.

Mehr Körperwahrnehmung und besseres Gleichgewichtsgefühl

„Hier gibt es so viele Möglichkeiten. Das kenne ich von anderen Therapien gar nicht“, sagt die Elfjährige. Was sie auch nicht kannte: gefragt zu werden, was man selbst möchte, welche Ziele man hat. „Das hat mich vorher noch nie jemand gefragt“, fügt sie mit leisem Erstaunen hinzu. Und Anni möchte viel erreichen. Sie ist ehrgeizig. Trainiert eifrig. Zieht die täglichen fünf Stunden Training konsequent durch. „Sie ist da wie ein Uhrwerk und geht mit extremer Motivation rein“, bestätigt auch ihre Mutter. Müde wird sie nur, wenn sie ihr Bett sieht. „Sonst könnte ich weiter machen“, ergänzt ihre Tochter und lacht. Annis Einsatz zahlt sich aus. Die Wochen im Ambulanticum zeigen Wirkung. „Ihre Körperwahrnehmung und Aufrichtung haben sich extrem gewandelt“, hat Mutter Uta beobachtet. „Sie weiß jetzt sehr genau, wo sie ansetzen muss, um aufrechter zu laufen. Ihre Muskulatur und ihr Gleichgewicht haben sich verbessert.“

Alltagssituationen selbstständig bewältigen

Auch für viele kleine, alltägliche Situationen hat Anni die Zeit im Ambulanticum geschult. Konnte sie ihre linke Hand zuvor nur kurz drehen, kann sie jetzt ein Glas selbst halten. Oder ihre Arme hochstrecken, was für das selbstständige Waschen und Duschen wichtig ist. „Die Therapie im Ambulanticum orientiert sich sehr am Alltag der Patienten. Das finden wir wichtig und richtig“, sagt Uta Hilbert. Kostete es Anni sonst zehn Minuten, einen Strumpf anzuziehen, schafft sie es jetzt in einer Minute. „Weil die Therapeuten im Ambulanticum die ersten waren, die einen Strumpfanzieher ins Spiel brachten“, so die Mutter.

Schule und Schwimmtraining

Nach der Therapie und den Sommerferien hat für Anni zu Hause ein neuer Alltag begonnen: Die Elfjährige geht jetzt auf eine Regelschule und besucht ein Gymnasium in ihrer Heimat. „Schule ist schön. Ich lerne gerne. Und man macht Übungen, ohne es zu merken“, sagt Anni, die in ihrer Schule auch die Schwimmgruppe besucht. Ein Training, das gleichzeitig ein großes Hobby von ihr ist. „Wasser ist toll“, sagt Anni und lächelt. „Im Wasser bin ich leicht. Und im Wasser kann ich laufen.“

 

 

Lernen, an sich selbst zu glauben

Gabriel hatte als Baby eine Hirnblutung – heute besucht er eine Regelschule

Gabriel macht vieles mit links: abstützen, hochziehen, greifen. Links ist die starke Seite des Sechsjährigen. Seine rechte Hand hat er lange gar nicht wahrgenommen. Nicht wahrnehmen können. Denn als Baby erlitt Gabriel eine Hirnblutung. Die Folgen: Er schaute nicht nach rechts, nutzte seine rechte Hand nicht, hatte motorische Defizite und machte seine ersten Schritte mit zwei Jahren. Fahrradfahren? Klettern? Eine Regelschule besuchen? Glaubte man den Ärzten, war das undenkbar. Dass es nicht unmöglich ist, hat der Schüler mittlerweile allen gezeigt: Denn heute kann Gabriel all das. Große Fortschritte hat der Erstklässler auf seinem Weg auch im AMBULANTICUM gemacht.

Schwere Diagnose

„Nach der Diagnose teilten uns die Ärzte mit: Haben sie nicht so viele Erwartungen. Gabriel wird vieles nicht können“, sagt Daniel Funke, Gabriels Vater, und seine Stimme klingt brüchig, wenn er von der schweren Zeit nach Gabriels Geburt erzählt. „Das hat meine Frau und mich natürlich niedergeschlagen.“ Das Elternpaar stand unter Schock, konnte den Ärzten aber keinen Glauben schenken. „Wir haben unser Kind gesehen und gedacht: Er wird mehr können“, so Mutter Stefanie. 

„Es muss doch noch mehr geben.“

Sie beginnen mit einer intensiven Frühförderung, Gabriel bekommt Physiotherapie und Ergotherapie. Regelmäßig besucht eine Therapeutin die Familie, arbeitet mit Gabriel vor Ort, hilft bei der Wahl weiterer Unterstützungsangebote. Auch seine Eltern machen zu Hause Übungen mit ihm, setzen immer wieder auch kleine Hilfestellungen um: Sie bauen eine Rampe, um ihr Kind beim Krabbeln lernen zu unterstützen. Ein gehäkeltes Band mit Glöckchen an der kleinen rechten Hand soll die Aufmerksamkeit auf die schwache Seite lenken. Als Gabriel 2,5 Jahre alt ist, kommt sein Bruder Jakob zur Welt. „Das hat Gabriel auch immer wieder unheimlich motiviert“, blickt Stefanie Funke zurück. Als der Kleine zu krabbeln beginnt, ahmt auch Gabriel die Bewegungsabläufe nach und wiederholt diesen Entwicklungsschritt nochmal.

Neben der intensiven Förderung und Therapien informiert sich das Ehepaar auch über andere Möglichkeiten, ihren Sohn zu unterstützen. „Das alles war ja schön und gut. Aber wir haben immer gedacht: Es muss doch noch mehr geben“, schildert der Familienvater. Seine Frau recherchiert. Sie stößt auf die gerätegestützte Therapie und auf das AMBULANTICUM. „Wir haben direkt gesagt: Das probieren wir aus und schauen, wie Gabriel die Therapie annimmt“, erzählen beide.

Bessere Körperwahrnehmung

Die Technikerkrankenkasse genehmigt die Intensivtherapie. Im September 2020 ist Gabriel zum ersten Mal in dem Herdecker Therapiezentrum. Sieben Wochen – drei Wochen im September, zwei Wochen im November und zwei weitere im März 2021 – arbeitet er mit dem Therapeutenteam. Mit großem Erfolg. „Als wir begonnen haben, wusste Gabriel, dass er seine rechte Hand braucht, wenn er bestimmte Sachen machen möchte“, erklärt Daniel Funke. „Das hatte er verstanden.“ Während der therapeutischen Einheiten lernt er, die rechte Hand unbewusst zu nutzen. Er gewinnt an Sicherheit. Weiß, er kann sich abstützen, abfangen – auch mit rechts. „Seine ganze Körperwahrnehmung hat einen enormen Schub bekommen“, findet Daniel Funke. Mit jeder Verbesserung glaubt Gabriel mehr an sich selbst. Probiert Neues aus. Gabriel traut sich, allein Fahrrad zu fahren. Bei Ausflügen auf den Spielplatz klettert er. Von sich aus. Ohne Motivation und Zuspruch von außen. „Das hat er sonst nie gemacht“, freuen sich die Eltern. „Das sind dann die besonders schönen Momente.“


Bewusste Entscheidung für die Regelschule

Im Ambulanticum fassen sie auch die Entscheidung, ihren Sohn auf eine Regelschule zu schicken – und die Anmeldung an einer Förderschule rückgängig zu machen. „Da haben uns die Gespräche mit Marion Schrimpf sehr geholfen“, so Daniel Funke. Die Ambulanticum-Geschäftsführerin plädierte dafür, Gabriel so starten zu lassen, wie alle anderen. Ihn nicht aus seinem sozialen Umfeld herauszunehmen und mit dem Bus eine halbe Stunde zur Schule fahren zu lassen. Stattdessen wurde der Junge mit seinen Kindergartenfreunden eingeschult und bekommt Unterstützung von einem Schulbegleiter. Dass ihr Sohn all das schafft und kann, überrascht die Eltern nicht. „Wir haben immer gemerkt: Er kann vieles. Er braucht nur die richtige Unterstützung“, betont StefanieFunke.

Potenziale des Patienten im Fokus

Diese hat die Familie auch im AMBULANTICUM gefunden. „Die positive Einstellung des ganzen Teams, die herzliche Atmosphäre und vor allem die individuelle Therapie haben uns sehr geholfen“, weiß Daniel Funke. „Die Potenziale des Patienten stehen im Mittelpunkt. Nicht seine Schwächen.“ Der Vater lächelt und seine Frau fügt hinzu: „Gabriel hat hier vor allem eines gelernt: Du kannst viel mehr als du denkst – und als die anderen gedacht haben.“

„Mein Ziel ist es, so lange wie möglich mobil zu bleiben.“

Spinocerebelläre Ataxie: Ambulanticum-Therapie hilft Volker Schürmann mit der Krankheit zu leben

Volker Schürmann geht mit seinem Rollator zur Treppe. Greift das Geländer, setzt vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Er geht langsam die Stufen hinab. Langsam aber selbstständig. Diese Selbstständigkeit ist ihm wichtig. Selbstverständlich ist sie nicht. Denn Volker Schürmann hat eine spinocerebelläre Ataxie Typ 6. Die Koordination von Hand- und Beinbewegungen fällt ihm schwer, ebenso wie das sichere Stehen und Gehen. Auch Sprechstörungen und Doppelbilder gehören zu der Krankheit, deren Symptome über die Jahre hinweg immer weiter zunehmen. Mit kontinuierlicher Therapie kämpft der Rentner gegen den Verlauf an. Wie er mit der Krankheit lebt und die Therapie im Ambulanticum erlebt, hat er uns im Interview erzählt.

Wie hat Ihre Erkrankung Ihr Leben verändert?

Die spinocerebelläre Ataxie sorgt dafür, dass mein Kleinhirn degeneriert – mit allen möglichen Problemen, die das mit sich bringt. Sie beeinflusst meine Motorik, das Sprechen, den Gleichgewichtssinn. Die Sturzgefahr ist immer da. Denn das Gleichgewicht gerät bei mir schlagartig außer Kontrolle. Dank guter Therapie hier gelingt es mir aber ganz häufig, Stürze zu vermeiden. So dass ich mich in Situationen, in denen Sturzgefahr besteht, immer wieder fangen kann. Das war nicht immer so.

Wie hat sich diese Krankheit gezeigt und Ihren Alltag beeinflusst?

Das fing vor ungefähr 20 Jahren an. Ganz unscheinbar. Wenn ich normal gegangen bin, dann begann der Fußboden zu verwischen. Als nächstes habe ich nicht mehr scharf gesehen. Ich habe als Servicetechniker für Formanlagen gearbeitet und irgendwann festgestellt, dass ich die Zeichnungen nicht mehr richtig erkennen konnte. Wenn es dunkel war, verschwammen die Autos mit ihren Lichtern. Da habe ich mir schon gedacht: Irgendwas ist nicht in Ordnung. Nach einem Ärztemarathon wurde die Krankheit dann an der Uniklinik Essen nachgewiesen. Sie ist zwar nicht lebensverkürzend, aber beeinflusst mein Leben sehr, weil sie kontinuierlich fortschreitet. Bei meiner ersten Therapie im Ambulanticum 2016 konnte ich noch am Stock laufen. Das kann ich jetzt nicht mehr.

Seit fünf Jahren kommen Sie regelmäßig ins Ambulanticum. Was sind die Ziele, die Sie noch erreichen möchten?

Da man diese Krankheit überhaupt nicht aufhalten kann und es zurzeit absolut keine Medikamente gibt, die Besserung versprechen, hilft nur eine kontinuierliche Therapie. Sei es Krankengymnastik, Ergotherapie und natürlich auch Logopädie. Denn die Sprache ist mittlerweile auch stark betroffen. Diese Therapien führen zur Verlangsamung der Auswirkungen dieser Krankheit. Mein Ziel ist es, so lange wie möglich am Rollator mobil zu bleiben. Im Moment betrachte ich meinen Rollstuhl noch als Feind. Aber ich bin in einer Übergangsphase, weil die Strecken, die ich am Rollator zurücklegen kann, doch gewaltig geschrumpft sind.

Wie hilft das Ambulanticum Ihnen dabei, diese Ziele zu erreichen?

Durch die auf mich abgestimmten Therapien behalte ich meine Beweglichkeit. Es ist nicht eine einzelne Therapieform, von der ich sage: Die ist es. Die Kombination und die ständige Wiederholung machen den Unterschied. Das habe ich ganz deutlich gemerkt, als die Corona-Pandemie begann. Da gab es sechs, sieben Wochen keine Therapie. Da hat sich mein Zustand rapide verschlechtert. Ich bin häufiger gefallen bin, gehbare Strecken haben sich reduziert. In diesem Jahr, in dem ich wieder therapiert worden bin, habe ich meine alten Fähigkeiten zum größten Teil wieder zurückbekommen. So hilft mir das Ambulanticum, mein Leben relativ selbstständig bewältigen zu können.

Wie schaffen Sie es, sich selbst immer wieder zu motivieren und nicht aufzugeben?

Einmal ist es meine Grundeinstellung zum Leben. Die war immer positiv. Und ich habe nicht vor, das zu ändern. Das nächste ist das Ambulanticum. Und wenn ich Ambulanticum sage, meine ich das ganze Team. Ich komme zwei Mal in der Woche hierher. Zwischendurch auch zu Intensivtherapien. Und immer, wenn ich hier bin, wird mir geholfen. Hier zeigt man mir: Es geht nicht nur schlechter. Als ich das erste Mal hier war, sprach mich ein älterer Herr an. Damals wusste ich nicht, dass es der Ambulanticum-Geschäftsführer Dr. Krahl war. Er sagte mir: „Du musst dir eines merken: Aufgeben ist keine Möglichkeit. Auch wenn es dir mal schlechter geht – es geht immer darum, weiterzumachen.“ Und das mache ich. Ich sage mir immer, so lange ich hierherkommen kann, geht es mir gut.

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