Das Erreichte erkennen

Schlaganfall-Patient Bernhard Hedwig gewann seine Lebensfreude zurück

Abergläubisch ist Monika Hedwig eigentlich nicht. Aber als sie im September 2022 mit ihrem Mann zum Ambulanticum-Sommerfest fuhr, hatte sie so ein Gefühl. „Wir saßen im Auto und ich habe zu ihm gesagt: Du gewinnst heute“, blickt die Wetteranerin zurück. Wenn sie die Geschichte erzählt, muss sie unwillkürlich lachen. Denn sie behielt recht. Bei der großen Tombola des Therapiezentrums zog Bernhard Hedwig das große Los: eine Intensivtherapie im Ambulanticum. Vier Wochen lang arbeitete der 70-Jährige mit dem Therapeutenteam daran, nach seinem Schlaganfall weiter auf die Beine zu kommen.

Reha voller Stress und Frust

Im Februar 2017 traf Bernd Hedwig der Schlag, der sein Leben von einer Sekunde auf die andere veränderte. Seine linke Seite kann der frühere Techniker, der in der Arbeitssteuerung für Ersatzteile der Getränkeindustrie tätig war, seitdem kaum noch bewegen. Sprechen war schwer, Schlucken noch schwieriger. Nach vier Wochen im Krankenhaus kam Bernhard Hedwig in eine Reha. „Da haben wir sehr schlechte Erfahrungen gemacht“, sagt Monika Hedwig. Alles sei unter Zeitdruck passiert, die Behandlungen fingen nie pünktlich an und das Personal war überlastet. „Es herrschte totaler Stress“, erinnert sich Bernhard Hedwig. „Und das kann man in einer solchen Situation am wenigsten gebrauchen.“

 

Therapie in Eigeninitiative

Seine eigentliche Reha begann erst, als das Ehepaar wieder zu Hause war und die Therapien selbst organisierte. In Eigeninitiative suchte und fand Monika Hedwig Ergotherapeuten, Logopäden und Krankengymnasten, die zur Behandlung in die Wohnung kommen. An den körperlichen Folgen wurde gearbeitet, aber die seelischen Wunden, die der Schlaganfall hinterlassen hat, saßen bei Bernhard Hedwig tief. Er war frustriert, verzweifelt, in sich gekehrt, verlor seinen Humor, sein Lachen. Er konnte und wollte seine Situation nicht mehr ertragen – und versuchte, sich das Leben zu nehmen. Der Suizidversuch scheiterte.

Mit dem Besuch einer Selbsthilfegruppe und der psychosomatischen Reha, die Bernhard Hedwig verschrieben bekam, begann sein Weg zurück zu mehr Lebensfreude. „Eine Therapeutin hat meinen Mann auf ein Pferd gesetzt“, erzählt Monika Hedwig. Der Mann, der bis dahin große Angst vor Pferden hatte, fand Gefallen an der Reittherapie – und geht noch heute regelmäßig zum Stall.

Sehen, was man schon kann

Eine weitere Wende kam mit einem Aufenthalt im Ambulanticum: 2020 trainierte Bernhard Hedwig zum ersten Mal in dem Herdecker Therapiezentrum. Dort arbeitete er an seinem Gleichgewicht, lernte, seine linke Seite zu erkennen und lief auf Lokomat und C-Mill. „Zu Beginn bin ich sehr tapsig gelaufen, jetzt kann ich lange Schritte machen“, sagt der Schlaganfall-Patient, der in seiner Zeit in Herdecke merkte, was alles noch möglich ist. „Vorher hat mein Mann immer nur gesehen, was er nicht mehr kann. Und er hat nicht gewürdigt, was er schon kann“, sagt Monika Hedwig, die von der Arbeit des Ambulanticum überzeugt und sicher ist: „Hätte er von Anfang an diese Behandlung bekommen, könnte er jetzt normal laufen.“

Mehr Lebensfreude

Normal laufen. Das ist ein Ziel von Bernhard Hedwig. An diesem Ziel hat er auch in seinem zweiten – bei der Tombola gewonnenen – Aufenthalt im Ambulanticum gearbeitet. Mittlerweile kann er gut mit einem Gehstock stehen und gehen. Und auch die Freude am Leben ist zurück – Humor inklusive. „Mein Mann kann wieder lachen. Und scherzen. Er hat einen eigenartigen Humor. Aber der ist Gott sei Dank wieder da“, sagt Monika Hedwig und lächelt. Gemeinsam kann das Paar sein Leben wieder genießen. Die Wetteraner gehen ins Theater, zum Frühstückskino, besuchen Restaurants und verreisen.

Tolles Team

„Nach der ersten Phase im Ambulanticum fing unser Leben wieder richtig an. Natürlich ist es anders, es ist manchmal umständlich, es dauert alles länger – aber es ist machbar“, sagt Monika Hedwig, die es wichtig findet, dass im Ambulanticum auch auf die Psyche der Patienten eingegangen wird. „Das Team versteht es, die Betroffenen zu motivieren“, ist das Paar sich einig. „Die Therapeutinnen und Therapeuten sind freundlich, fürsorglich und ,echt´. Man ist im Ambulanticum einfach gut aufgehoben.“

„Aufgeben war keine Option.“

Endlich wieder laufen: Anouk Kapfer trainiert im Ambulanticum für ihr Ziel

Erst eine Berufsbildung in der Krankenpflege, anschließend ein Medizinstudium – mit Anfang 20 hatte Anouk Kapfer klare Vorstellungen von ihrem Leben. Doch dann kam alles anders: Nach einer Hepatitis-Impfung entwickelte sie Antikörper gegen die eigenen Nerven. Die Folge: CIDP, eine chronische Erkrankung des peripheren Nervensystems, die zu schweren Entzündungen im ganzen Körper führte. Zusätzlich entzündete sich durch eine Myelitis das Rückenmark und führte zu einer inkompletten Querschnittlähmung unterhalb des 10. Brustwirbels. Seitdem ist Anouk Kapfer gelähmt, sitzt aufgrund eines inkompletten Querschnitts seit acht Jahren im Rollstuhl. Im Rollstuhl hat die Gießenerin auch ihre Therapie im Ambulanticum begonnen – mit einem konkreten Ziel: Das Herdecker Therapiezentrum gehend zu verlassen.

Achterbahnfahrt zwischen Therapie und Bürokratie

„Ich möchte es anders machen als zu Beginn meiner Erkrankung. Damals bin ich mit Unterarmgehstützen ins Krankenhaus gegangen – und im Rollstuhl wieder herausgekommen“, blickt die zierliche Frau mit dem blonden Pagenkopf auf die Zeit zurück, in der ihr Leben eine schicksalhafte Wendung nahm. Eine Woche nach der Impfung fühlte sie sich schlecht. Sie begann zu zittern, konnte den Stift während einer Klausur nicht mehr halten, hatte Einschränkungen im Sichtfeld, schaffte es nicht mehr, ihr linkes Bein aufzusetzen. Sie ging ins Krankenhaus – und eine Achterbahnfahrt zwischen Therapie und Bürokratie, gesundheitlichen Rückschlägen und Neuanfängen begann.

„Ich war ein absoluter Sonderfall“, sagt Anouk Kapfer heute. CIDP und Myelitis: Welche Erkrankung zu welchen Einschränkungen und Beschwerden geführt hat, war ebenso wenig klar, wie die Prognose. Sie hörte alles: „Den Rollstuhl brauchen Sie vielleicht gar nicht“ genauso wie „Am besten finden Sie sich damit ab, dass Sie im Rollstuhl sitzen.“ Auch welche Therapie- oder Rehaeinrichtung ihr helfen kann und darf, wird auf langen bürokratischen (Irr-)Wegen im Gesundheitssystem geklärt: Ihre erste Reha bekam die heute 30-Jährige erst ein Jahr nach der Impfreaktion. „So lange hat es gedauert, bis sich die Krankenkassen und Versicherungen darüber geeinigt haben, wer zahlt und für was.“

Jahrelange Ungewissheit

Bis zu dem Zeitpunkt hatte die junge Frau keine Therapie und sich das Wichtigste selbst beigebracht – von der Rollstuhlmobilität bis hin zum Kathetern. „Es gibt da wirklich hilfreiche Youtube-Videos“, sagt sie ganz trocken. Aber allein gelassen und nicht ernst genommen hat sie sich lange gefühlt. „Rückblickend ärgert mich das. Ich habe einfach nicht gewusst, was möglich ist und hätte wahrscheinlich nicht so lang im Rollstuhl gesessen, wenn die Therapien eher begonnen hätten.“ Die erste Zeit ging es ihr schlechter und schlechter. Immer wieder kamen Schübe, immer wieder bekam Anouk Kapfer Kortison: „Ich wusste jahrelang nicht, wie es weitergeht. Und es konnte mir auch keiner sagen.“ Was sie aber wusste war: Sie will wieder laufen.

Als Anouk Kapfer ihren Neurologen wechselt, kommt sie dem Ziel ein erstes Stück näher. Sie entscheidet sich mit ihrem Arzt für eine Kortisonstoßtherapie, die Wirkung zeigt. Als ihr Mann sie von der Therapie abholt, sich auf ihrem Oberschenkel abstützt, um ihr einen Kuss zu geben, spürt sie die Berührung. „Das hat mir Auftrieb gegeben, mich motiviert“, sagt die Mutter eines heute einjährigen Kindes. Sie legte den Fokus, der sonst klar auf ihrem Psychologiestudium war, verstärkt aufs Training. Es geht ihr weiter besser, auch während und nach der Schwangerschaft nimmt die Motorik zu.

Endlich ernstgenommen

Im August 2022 kommt Anouk Kapfer zum ersten Mal zur Intensivtherapie ins Ambulanticum. Und zum ersten Mal fühlt sie sich ernst genommen: „Niemand hat gesagt: Finden Sie sich mit dem Rollstuhl ab“, erzählt die Psychologin. Im Gegenteil: Als Anouk Kapfer sagt, was sie mit der Therapie erreichen möchte, belächelt sie keiner. Drei Kilometer mit ihrem Kind am Strand entlanglaufen – auf einmal scheint das möglich. „Es hat mich irritiert und motiviert, dass mir keiner mein Ziel ausreden wollte“, lacht Anouk Kapfer, die im Januar 2023 zum dritten Mal in der Herdecker Einrichtung ist.

Sie trainiert hart. Arbeitet mit dem Ambulanticum-Team an ihrer Rumpfstabilität, übt, Bewegungen anzubahnen, bekommt Physio- und Ergotherapie, Sport- und Bewegungstherapie, absolviert Einheiten auf Lokomat und C-Mill. Sie lernt Fahrradfahren, trainiert Torwürfe mit einem Handball – und geht auf Sand. Mit Orthesen und auf dem Spielplatz statt am Strand, aber ihr Ziel ist zum Greifen nah.

Aufgeben war keine Option

„Es ist Wahnsinn“, sagt Anouk Kapfer glücklich. „Ich habe immer daran geglaubt, dass ich das Ambulanticum laufend verlasse. Aber ich hätte nie gedacht, dass ich mein Therapieziel so schnell erreiche.“ Möglich gemacht hat das auch die enorme Unterstützung der Therapeut*innen vor Ort, da ist sie sich sicher. „Die war einfach großartig.“ Und auch, wenn der Weg schwierig und die Therapie manchmal so hart war, dass sie dachte sie kann nicht mehr: „Ich wusste, das Ambulanticum ist eine einmalige Chance“, so Anouk Kapfer. „Aufgeben war keine Option.“

Der Diagnose zum Trotz

Elisabeth Emunds trainiert für ein Leben ohne Rollstuhl

Als Elisabeth Emunds für eine Operation an der Bandscheibe ins Krankenhaus musste, hätte sie nie gedacht, dass dieser Eingriff ihr Leben von Grund auf ändern würde. Doch die Operation an der Brustwirbelsäule wurde für die damals 53-Jährige zum Schicksalsschlag: Der Ausgang der OP verlief nicht wie geplant. Als Elisabeth Emunds aus der Narkose erwachte, war sie querschnittsgelähmt.

„Das Erste, was man mir sagte, als ich wieder wach war, werde ich nie vergessen“, sagt die Berufsschullehrerin. „Sie werden nie wieder irgendetwas können“, lautete die niederschmetternde Diagnose der behandelnden Ärzte. Sie müsse sich damit abfinden, dass ihr Leben mit dieser inkompletten Querschnittslähmung nie wieder werde wie vorher.

Klares Ziel vor Augen

So wie vorher ist das Leben von Elisabeth Emunds mehr als ein Jahr nach der OP nicht. Aber sie kämpft sich zurück ins Leben, hat die Diagnose nie akzeptiert. „Vielleicht habe ich sie auch einfach nicht in ihrer ganzen Bedeutung verstanden“, sagt Elisabeth Emunds heute. „Aber mir war klar, ich will wieder laufen.“ Diesem Ziel ist sie in den vergangenen Monaten ein großes Stück nähergekommen – mit viel Kampfgeist, Einsatz, Unterstützung und Therapien, die sie auch im Herdecker Ambulanticum absolvierte. Mittlerweile kann Elisabeth Emunds am Rollator laufen und wenn sie ihre Orthese am linken Bein trägt, kommt sie mit einer Krücke Schritt für Schritt ein paar Treppenstufen voran.

Der Weg ins Ambulanticum

Der Weg dorthin war lang. Direkt nach der Operation ging es für Elisabeth Emunds in eine Akutklinik nach Bochum. „Da kamen erste Funktionen zurück“, erinnert sie sich. Vier Monate lang war sie in Bochum in Behandlung, und lernte mit dem Unterarmgehwagen und im Barren ein paar Schritte zu gehen. „Aber nur sehr, sehr wackelig und mit viel Unterstützung“, blickt Elisabeth Emunds zurück.

Während der Anschlussbehandlung in Bad Wildbad hörte sie zum ersten Mal vom Ambulanticum Herdecke. Ein Mitpatient gab ihr den Hinweis auf das interdisziplinäre Therapiezentrum. Sie nahm Kontakt auf, machte einen Kennenlerntermin aus und begann im Mai 2022 ihre erste Intensivtherapie. Sie hatte fünf Stunden am Tag Therapie, trainierte im Lokomaten, im 3D-Spacecurl, und im Kraftraum, hatte Krankengymnastik, Bewegungs- und Ergotherapie. „Der Fokus lag zu der Zeit ganz auf der Stärkung der Rumpfmuskulatur“, so Elisabeth Emunds. „Rumpf ist Trumpf. Ich weiß nicht, wie oft ich das gehört habe.“ Sie lächelt.

Ein Riesenerfolg

Die Arbeit an mehr Stabilität zahlte sich aus. In der zweiten Intensivtherapie bekam sie ihre Orthese angepasst, lernte mit dem Rollator zu gehen. In der dritten Intensivphase trainierte sie auch schon auf dem C-Mill-Laufband. „Mittlerweile kann ich mich 150 Meter mit Rollator fortbewegen“, sagt Elisabeth Emunds. „Das ist für mich ein Riesenerfolg.“ Ebenso wie die Tatsache, dass sie mit Krücke und Handlauf auch ein paar Stufen gehen kann und bei der Arbeit die Wege bis zum Lehrerzimmer nicht mehr im Rollstuhl absolvieren muss. „Es hat mir sehr geholfen, dass wir im Ambulanticum viele Situationen und Bewegungen aus meinem Alltag simuliert und trainiert haben“, betont Elisabeth Emunds. Für sie ist klar: Sie kommt weiter ins Ambulanticum, die nächste Therapiephase steht und ist für Anfang 2023 angesetzt. „Nach meiner Prognose hätte keiner gedacht, dass ich mal dahin komme, wo ich jetzt bin“, sagt Elisabeth Emunds, die aber noch weiterkommen möchte. „Ich habe den Traum, auch wieder ohne Rollator laufen zu können.“

„Nele ist eine Kämpferin.“

Mit Therapie und starkem Willen zu mehr Selbstständigkeit

Notkaiserschnitt. Zwei Operationen. Drei Monate Krankenhaus: Neles Start ins Leben war nicht leicht – und erst der Anfang einer langen Krankheitsgeschichte. Das kleine Mädchen war neurologisch auffällig. Konnte auch mit 1,5 Jahren nicht sitzen, nicht krabbeln. Eine Diagnose gab es nicht. Eine Prognose schon: Die Ärzte waren sicher, Nele würde nie laufen. Nie sprechen.  Heute ist Nele zwölf Jahre alt. Sie kann einige Schritte frei laufen. Sie erzählt. Kann etwas rechnen. Ein paar Wörter schreiben. All das hat Nele sich hart erkämpft. Mit ihrer Familie. Mit vielen Therapeuten. Und auch mit Unterstützung des Ambulanticum.

Kurzbesuch zum 10-Jährigen

Als Nele durch die Eingangstür des Therapiezentrums geht, strahlt sie. Hier kennt sie sich aus. Auch, wenn sie schon lange nicht mehr da war. Doch der Kurzbesuch zum 10. Geburtstag des Ambulanticum weckt viele Erinnerungen. An viele Wochen voll mit Trainingsstunden und Fortschritten, Rückschlägen und Hürden, Unterstützung, Motivation und Kampfgeist. „Nele ist einfach eine Kämpferin. Und ein Dickkopf“, Sandra Kohlof, Neles Mutter, lacht. „Sie hat sich nicht unterkriegen lassen.“

Intensivtherapie im Ambulanticum

2014 war Nele zum ersten Mal vor Ort. Eine Therapeutin hatte die neurologische Nachsorge der Herdecker Einrichtung empfohlen. „Sie war mit ihrem Latein am Ende“, blickt ihre Mutter zurück, die mit Nele bei vielen Therapeuten war. Erst arbeiteten sie mit der Therapie nach Bobath. Später nach Vojta. Das brachte Fortschritte. Aber krabbeln oder laufen konnte Nele mit  4 Jahren noch nicht . Im Ambulanticum bekam sie insgesamt drei Intensivtherapien mit Training am Lokomat, Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie und Hirnleistungstraining. „Das volle Programm“ erzählt Sandra Kohlof, die mit Nele auch zwischen den Therapiephasen zur Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie ins Ambulanticum fuhr. „Morgens war Nele dann im Ambulanticum, nachmittags im Kindergarten“, sagt die Mutter.

Die ersten Schritte ohne Hilfe

 Der Einsatz zahlt sich aus. Neles Sprachbild verbessert sich. Ihre Fein- und Grobmotorik auch. Sie fängt schnell an zu krabbeln, lernt an der Hand einige Schritte zu gehen. Heute läuft die Nele bis zu 25 Schritte allein. Bei ihrem Besuch im Ambulanticum geht sie ohne Hilfe zum Spacecurl, in dem sie auch als kleines Kind schon gerne trainiert hat. Als sie das Gerät noch einmal ausprobieren darf, hat Nele wieder Spaß. Sie lacht während Peter Meisterjahn, Therapeutischer Leiter im Ambulanticum, mit ihr trainiert – so wie früher.

 „Ohne das Ambulanticum wären wir nicht da, wo wir heute sind“, ist Sandra Kohlof überzeugt. „Nele hat sich viel Selbstständigkeit erarbeitet.“ Die Zwölfjährige geht gerne in die Schule, mag es, mit ihrem Therapiefahrrad unterwegs zu sein, spielt Keyboard. „All das wäre laut der frühen Prognosen nicht möglich gewesen“, sagt ihre Mutter, während sie zu ihrer Tochter blickt und lächelt. „Da hat Nele allen das Gegenteil gezeigt.“

„Ich wollte immer sehen, wie weit ich komme.“

Querschnittpatient Robert Steinbeck arbeitet im Ambulanticum an seinem Gangbild

Robert Steinbeck war 20 Jahre alt, als ein schwerer Autounfall sein Leben von einer Sekunde auf die andere veränderte. Er saß auf dem Beifahrersitz, als das Auto erst in einen Graben und dann gegen einen Baum fuhr. Der damalige Kfz-Mechaniker erlitt einen Halswirbelbruch. Er wurde ins Krankenhaus geflogen. Operiert. Lag 3,5 Wochen im künstlichen Koma, erlitt zwei Herzstillstände. Doch er überlebte – aller Prognosen zum Trotz.  Als er wach wurde, war er vom Hals abwärts gelähmt. Die Aussicht: ein Leben im Rollstuhl. Heute spielt Robert Steinbeck Rollstuhl-Rugby – und kann wieder gehen.

Zeigen, dass es anders geht

„Das Rückenmark ist durch. Das haben die Ärzte mir gesagt, als ich wach geworden bin“, erinnert sich Robert Steinbeck an die Worte, die erst einmal alles auf den Kopf stellten. Erst einmal. Denn der junge Auszubildende kämpfte, gab nicht auf. „Ich habe mir immer wieder gesagt: Ich zeig´, dass es anders geht.“

Sieben Wochen nach dem Unfall konnte Robert Steinbeck einen Zeh bewegen. Minimal zwar, aber es war ein Anfang. „Die kleinen Schritte sind entscheidend“, weiß er heute. „Sie zusammen führen zum Ziel.“ Als er im Krankenhaus einen Traum hatte, in dem er seine Beine bewegen konnte, erzählte er es aber niemanden: „Mir wurde ja immer gesagt, dass Laufen nicht drin sein wird.“ Also setzte er sich ein anderes Ziel: eigenständig leben können. „Ich wollte mich selbst anziehen und allein hochkommen, wenn ich mal falle“, so der heute 42-. Diese Ziele hat Robert Steinbeck längst erreicht. Und noch mehr. Nach 3,5 Monaten in Therapie war er das erste Mal auf einem Laufband. „Da bin ich die ersten 100 Meter gelaufen. In 12 Minuten und 31 Sekunden“, weiß er noch heute.

Therapiemüde

Nach sechs Monaten wurde er aus dem Krankenhaus entlassen. Zwei Jahre nach dem Unfall hatte er die erste Reha.  „Dort habe ich angefangen, frei zu laufen. Ich bin oft hingefallen. Aber das war mir egal. Ich wollte sehen, wie weit ich komme.“ Einen eigenen Rollstuhl besaß er nie. Er wollte ohne vorankommen. 2007 machte er eine zweite Reha, dazwischen folgten viele Einzeltherapien. Dann lange Zeit nichts mehr. „Irgendwann war ich therapiemüde“, sagt Robert Steinbeck rückblickend. Er machte fast sieben Jahre eine Therapiepause. Konzentrierte sich auf sein Berufsleben. Machte eine Umschulung. Ging eine zeitlang zur Abendschule. Und fand einen Teilzeitjob an der Uni Hamburg. Dort arbeitet er heute als Teamassistenz am Lehrstuhl für Physik. Die Wege zwischen den Gebäuden, zu Büros und Hörsälen legt er nicht im Rollstuhl zurück – er läuft mit Gehhilfen.

Ganganalyse im Ambulanticum

„Dabei lag mein Fokus lange nicht auf dem idealen Gangbild“, gibt er unumwunden zu. Und das macht sich bemerkbar. „Ich habe mir eine Technik angewöhnt, die mich zwar vorwärts-, aber meine Gesundheit nicht weiterbringt“, sagt Robert Steinbeck. Wenn er läuft, ist sein Bein durchgestreckt, er schwingt vorwärts, nimmt seinen ganzen Oberkörper mit. Irgendwann machte der Rücken Probleme. Die Schmerzen waren so stark, dass der 42-Jährige nur noch krabbeln konnte. „So bin ich auf und ins Ambulanticum gekommen“, schildert er. Und dort wurde „Tacheles geredet“, wie er selbst sagt. Videoaufnahmen, Ganganalysen und das Feedback der Therapeut*innen zeigen dem Patienten: Die Technik, die er entwickelte, hat mit Gehen nicht viel zu tun und schadet dem Rücken und den Knien. Im Ambulanticum trainiert Robert Steinbeck seitdem an einem besseren Gangbild. Lieber langsam und richtig gehen, ist jetzt die Devise. Die Therapie sei intensiv, aber „phänomenal“, so Steinbeck. „Das habe ich zuvor noch nie erlebt. Auch in meinem Umfeld nicht. Hier wird individuell auf jeden eingegangen und alles greift ineinander. Das ist fantastisch.“

Hobby: Rollstuhlrugby

In einen Rollstuhl steigt der frühere Fußballer meist nur in seiner Freizeit. Robert Steinbeck  spielt seit 2011 Rollstuhlrugby, seit 2015 ist er Abteilungsleiter beim Rollstuhlrugby-Team des Alstersport e.V.. Einmal in der Woche wird trainiert, in der Regionalliga tritt die Mannschaft gegen andere Teams aus dem Norden an. „Da geht es dann schon richtig zur Sache“, erzählt der begeisterte Hobby-Sportler. „Es ist ein bisschen wie Autoscooter-Schach. Sehr taktisch, aber auch mit Vollspeed. Und viel Spaß.“ Robert Steinbeck lächelt: „Das Miteinander, die Teamzugehörigkeit ist wichtig und hat einen unglaublichen Mehrwert. „Das hätte ich schon viel früher machen sollen“, sagt er und zuckt kurz mit den Schultern. Zurückschauen ist nicht wirklich sein Ding. Wichtiger ist ihm nach vorne zu blicken. „Auch 20 Jahre nach meinem Unfall kann ich noch mehr rausholen. Nach all der Zeit kann ich jetzt zum Beispiel wieder 10 Sekunden auf meinem rechten Bein stehen.  Ich habe gelernt: Es geht immer etwas!“

 

„Ich wusste, ich werde wieder laufen.“

Rashide Serifi steht nach jahrelanger Therapie wieder auf eigenen Beinen

2012 sollte ein glückliches Jahr für Rashide Serifi werden: Die damals 21-Jährige war schwanger, freute sich gemeinsam mit ihrem Mann auf ihr erstes Kind. Doch die Geburt wurde für sie und ihre Familie zum lebensverändernden Wendepunkt: Eine Periduralanästhesie (PDA) mit einer verunreinigten Spritze löste eine katastrophale Kettenreaktion aus. Nach der Geburt ihres Sohnes bekam Rashide Serifi eine Hirnhautentzündung, Bakterien durchsetzten ihre Wirbelsäule mit Eiterherden. Durch mehrere Operation im Bereich der Wirbelsäule wurde das Rückenmark schwer geschädigt. Die junge Mutter war von einem Augenblick auf den anderen inkomplett querschnittgelähmt. Ihre Prognose: ein Leben im Rollstuhl.

Langer Leidensweg

Die Diagnose war ein Schock und der Beginn eines langen Leidensweges: Nach der Geburt lag Rashide Serifi zunächst vier Wochen auf der neurologischen Station. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend. Kein Antibiotikum schlug an. Eine Not-OP wurde nötig. Sie wurde in die Uni-Klinik verlegt, ihr Leben hing an einem seidenen Faden. Doch Rashide überstand die Operation. So wie sechs weitere, die folgten. Sie war lange Zeit in Kliniken. Ihren kleinen Sohn sah sie so gut wie gar nicht. „Das war besonders schlimm“, erklärt die heute 30-Jährige, die sich nach den langen Klinikaufenthalten in einer Reha „an den Rollstuhl gewöhnen sollte“.  Ein Ziel, das für Rashide Serifi gar kein Ziel war. Sie wollte mehr. Sie wollte wieder laufen können. Für sich. Für ihren Sohn. Für ihre Familie. „Ein Leben im Rollstuhl war für mich keine Option“, sagt sie heute. „Ich wusste, wie schwer, lang und mühsam der Weg werden würde. Aber einen anderen gab es für mich nicht.“

Kleine Fortschritte für große Erfolge

Sie setzt alles daran, den Rollstuhl hinter sich zu lassen, wieder auf eigenen Beinen zu stehen und zu gehen. Mit unbändigem Willen und der Unterstützung ihrer Familie kämpft sie sich durch vier Jahre Rollstuhl und drei Jahre Therapie, die sie im Ambulanticum absolviert. Das Therapiezentrum in Herdecke war ein Glücksfall: „Nach negativen Erfahrungen in der Reha ging man endlich auf mich und meine Bedürfnisse ein“, sagt Rashide Serifi. „Das Ambulanticum bot genau das, was ich mir an Therapie vorgestellt habe.“ Im Mai 2013 kam sie zum ersten Mal ins Ambulanticum. Im Rollstuhl und mit schwacher Rumpfstabilität, aber mit einem großen Traum und hoher Einsatzbereitschaft. „Ich habe 100 Prozent gegeben – und bin manchmal nur 0,01 Prozent weitergekommen“, erzählt die Leverkuserin „Das war hart. Aber ich habe gelernt, dass auch kleine Fortschritte Erfolge sind und letztendlich zu großen Fortschritten werden.“

Zurück im Leben

Mit einem individuell auf sie abgestimmten Therapiekonzept trainierte Rashide Serifi ihre Muskulatur und ihr Gleichgewicht. Sie arbeitete im Spacecurl an ihrer Rumpfstabilität, übte mit verschiedenen Hilfsmitteln das Stehen. Am Lokomaten – einem Gangtrainer – ging sie unzählige Schritte. Immer und immer wieder.  Es folgten Trainingseinheiten auf dem Laufband, später die ersten freien Steh- und Gehversuche. Die Therapie brachte sie an ihre körperliche Leistungsgrenze. Es gab Tage, da fehlte die Kraft. „Natürlich waren da Momente, in denen ich nicht mehr wollte. Und nicht mehr konnte“, blickt Rashide Serifi zurück. „Aber das Team war immer für mich da und hat mich motiviert – auch wenn ich es ihnen sicher nicht immer leicht gemacht habe.“ Sie lächelt. Und sie strahlt, wenn sie von dem Leben erzählt, das sie heute führen kann: Zehn Jahre nach der Querschnittlähmung hat sie ihr Ziel erreicht – und noch viel mehr. Sie kann laufen, Autofahren, Sport machen. Und Rashide Serifi ist zum zweiten Mal Mutter geworden. Iljas ist heute drei Jahre alt und macht das Glück von Rashide Serifi, Ehemann Kenan und Bruder Mikail komplett. „Es war ein langer Weg“, sagt sie. „Aber für mich war immer klar: Ich werde wieder laufen.“

Von wegen für immer

Rainer Erb kämpft sich aus dem Rollstuhl – und hat ein Buch darüber geschrieben

Rainer Erb sitzt an seinem Computer und arbeitet, als seine Knie plötzlich schwach werden. Der 55-jährige Zimmermeister fällt vom Stuhl – und kann sich nicht mehr bewegen. Von jetzt auf gleich ist er querschnittsgelähmt. Die Ursache ist bis heute unbekannt. Die erste Prognose lautet: Rollstuhl für immer. Ein Schicksal, in das sich Rainer Erb nicht fügen möchte. Er kämpft dafür, wieder auf die Beine zu kommen. „Von wegen für immer“ ist sein Motto – und der Titel eines Buches, das seine Geschichte erzählt.

Im Labyrinth aus Therapien und Anträgen

Zwölf Tage Erstversorgung im Krankenhaus Fulda. Sieben Monate in einer Spezialklinik in Bad Wildungen. Dann drei Monate Reha mit Vojta- und Wassertherapie. Nach den ersten sechs Monaten gibt es kleine Fortschritte, Rainer Erb kann ein Bein leicht bewegen. Zurück zu Hause beginnt die Physiotherapie vor Ort – bis zu 20 Stunden in der Woche arbeitet Rainer Erb an seinem Ziel, wieder laufen zu können. 

„Momentan gibt es für mich Therapie, Essen, Schlafen und Trinken“, sagt der Fuldaer. Aber für ihn gibt es auch:  ein Labyrinth aus Therapiemöglichkeiten, Anträgen und Absagen. Auch hier kämpft Rainer Erb sich durch – und schreibt alles auf. Das, was ihm durch den Kopf geht. Das, was er aus den Therapien mitnimmt. Das, was er im Bürokratiedschungel erreicht. Die Aufzeichnungen helfen ihm, seine Situation zu verarbeiten. Sie stützen ihn, treiben ihn an und werden die Grundlage seines Buches, mit dem er vor allem eines erreichen möchte: anderen helfen, die in einer ähnlichen Situation sind. „Ich möchte zeigen, dass man die Dinge auch selbst in die Hand nehmen muss, um was zu erreichen“, betont Rainer Erb.

Ein Training, das fordert und fördert

Die Arbeit an seinem Buch führt ihn auch ins Ambulanticum: Seine Biographin, Dagmar Wagner, macht ihn auf die ambulante Therapieeinrichtung aufmerksam. Schon beim Blick auf die Website merkt er: Die machen genau das, was ich brauche. Ein intensives, individuelles Training, das fördert und fordert. „Dabei gehe ich an meine Leistungsgrenze. Ich lasse nicht locker“, erzählt Rainer Erb, der von dem Therapiekonzept und der Umsetzung überzeugt ist: „Die Therapeut:innen sind richtig gut geschult und die vielen Hilfsmittel und Trainingsgeräte gibt es woanders in dieser Form nicht.“

Frei laufen – bis zur Rente

Gemeinsam mit seinen Therapeut:innen arbeitet Rainer Erb zurzeit daran, frei zu stehen, am Rollator zu gehen sowie an seiner Motorik und der Kraftentwicklung. „Mittlerweile drücke ich 20 Kilo mehr als in der letzten Therapiephase“, sagt er nicht ohne Stolz. Auch die Stabilität im Rumpfbereich hat sich wesentlich verbessert: „Zu Beginn war ich nach zehn Minuten Spacecurl-Training klatschnass geschwitzt – jetzt geht es mir danach gut. Das kann ich dem Ambulanticum zuschreiben.“ Im März kommt er noch einmal für eine weitere Intensivtherapie zurück ins Ambulanticum – und seinem Ziel vielleicht wieder ein ganzes Stück näher: „Bis zu meiner Rente in sieben Jahren möchte ich frei laufen können“, sagt Rainer Erb, während er sich auf den Weg zur nächsten Therapieeinheit macht. „Und dann. Dann schreibe ich ein zweites Buch“, sagt er. Und lächelt.

Weitere Infos zum Buch gibt es hier.

Der Wille, helfen zu wollen

Assistenten im Alltag unterstützen bei Ambulanticum-Aufenthalt

Für Borislav Davidkov war es ein ganz normaler Arbeitstag. Der Architekt hatte eine Besprechung, stand vor vielen Menschen in einem Raum mit wenig Sauerstoff. Auf einmal brach er zusammen, schlug mit dem Kopf auf dem Tisch auf, wurde bewusstlos – und wachte in einer völlig neuen Lebenssituation wieder auf: Seit dem Unfall ist der 53-Jährige vom Hals abwärts gelähmt. Im Ambulanticum möchte er sich einen möglichst normalen, selbstständigen Alltag erarbeiten. Dabei bekommt er Unterstützung von den „Assistenten im Alltag“. Der Assistenzdienst aus Unna begleitet und betreut den Frankfurter während seiner Intensivtherapie – 24 Stunden lang, rund um die Uhr.

Aufstehen, vom Bett in den Rollstuhl kommen, waschen, essen. Bei all diesen Tätigkeiten braucht Borislav Davidkov Hilfe. Durch seinen inkompletten Querschnitt hat er eine schwache Rumpfstabilität. Lange Zeit konnte er nicht ohne Rückenlehne oder auf einem normalen Stuhl sitzen. Es fällt ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten und seine Beine zu nutzen. Auch die Arme sind in den Bewegungen eingeschränkt, die Hände kann er nur leicht einsetzen. Die ambulante Therapie im Ambulanticum – die Wechsel zwischen den Therapieräumen, die Trink- und Essenspausen – wären ohne Assistenten für ihn nicht machbar. „Trotzdem ist eine Therapie bei uns möglich“, betont Marion Schrimpf, Geschäftsführerin der Herdecker Einrichtung.

Ängste nehmen. Vertrauen aufbauen.

Nach Sichtung aller Anträge, Untersuchungsergebnisse und Klinikunterlagen griff sie zum Telefon und schlug Borislav Davidkov für die Therapiephasen die Zusammenarbeit mit einem Assistenzdienst vor. Der nahm den Vorschlag an und Kontakt zu Mark Oberstadt, Gründer und Geschäftsführer der „Assistenten im Alltag“, auf. „Ich wusste nicht, was mich erwartet, war unsicher und hatte viele Fragen“, erinnert sich der Ambulanticum-Patient an das erste Telefonat. Doch die Sorgen wurden ihm schnell genommen. „Ich habe sofort den Eindruck bekommen: Das sind erfahrene Leute, die kennen sich aus. Die Zuversicht, die verbreitet wurde, hat auch meine letzten Zweifel beseitigt.“ Ängste nehmen. Vertrauen aufbauen. Zuhören. Das ist Mark Oberstadt und seinem Team sehr wichtig. „Wir verbringen ja viel Zeit mit unseren Kunden, unterstützen auch in Pflege- oder privaten Situationen. Da muss die Chemie stimmen – und das Vertrauen auch.“

Möglich machen, was möglich sein muss

Auf das erste Telefonat folgte ein Kennenlerntag, an den beide schmunzelnd zurückdenken: Als die Assistenten mit ihrem Transporfahrzeug – einem Caddy – vorfuhren, war dem 1,95 Meter großen Borislav Davidkov sofort klar: „Mit Elektrorollstuhl passe ich da nicht rein“. Und er sollte recht behalten. „Da hatte ich mich etwas verschätzt“, erzählt Mark Oberstadt und muss bei der Erinnerung lachen. Ein Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit war das aber nicht. Der Geschäftsführer des Unnaer Assistenzdienstes schaffte kurzerhand ein größeres Fahrzeug an: „Wir versuchen immer, möglich zu machen, was möglich sein muss.“

Enge Abstimmung: Ambulanticum und Assistenzdienst

Der Fahrdienst vom Appartment zum Ambulanticum ist allerdings nur eine von vielen Aufgaben, die das Assistenzteam übernimmt. Zwischen acht bis neun Assistent:innen,- darunter auch Pflegekräfte – kümmern sich im Wechsel, aufgeteilt in Tages- und Nachtschichten, um die 24-Stunden-Betreuung. Sie kaufen ein, kochen, helfen bei der Körperpflege, beim Umziehen, beim Transfer in den Rollstuhl und unterstützen während der Therapiezeiten, wann und wo es nötig ist.

Dabei arbeitet das Team eng mit dem Ambulanticum zusammen. So wurde zum Beispiel der Therapieablauf flexibel geregelt: „Da die Morgenroutine vom Weckerklingeln bis zur Abfahrt mit dem Transporter rund drei Stunden benötigt, fängt für Herrn Davidkov kein Therapietag vor 10 Uhr an“, erklärt Mark Oberstadt. „Die Zusammenarbeit mit dem Ambulanticum läuft sehr gut. Wir werden problemlos miteingebunden und das wirkt sich natürlich auch positiv auf die Betreuung aus.“ Für Borislav Davidkov hat die Kooperation zwischen Ambulanticum und Assistenzdienst die ambulante Therapie erst möglich gemacht – und geholfen auch Probleme und Unwägbarkeiten auf dem Weg zu meistern. „Es war und ist mir ganz wichtig, dass die Motivation und der Wille da sind, mir helfen zu wollen. Und beides war immer da.“

 

IM GESPRÄCH

„Im Ambulanticum merke ich, was machbar ist.“

Borislav Davidkov setzt sich in der Intensivtherapie immer neue Ziele

Lange Klinik- und Rehaaufenthalte, Ergo- und Physiotherapieeinheiten: Seit seiner unfallbedingten Querschnittlähmung vor zwei Jahren hat Borislav Davidkov schon einige Therapien und Anwendungen kennengelernt. Ein Jahr nach dem Unfall erkannte er Fortschritte in seiner körperlichen Entwicklung. In den heimischen Therapie-Einheiten gelangen Stehversuche und bald auch erste Gehversuche. Er suchte nach einer Therapie, die ihn noch intensiver unterstützt. Die Intensivtherapie im Ambulanticum ist für ihn ein neuer Ansatz: Seit August 2021 trainiert er in der Herdecker Einrichtung 5,5 Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche. Im Interview spricht er über seine Therapie und seine Ziele.

Wie erleben Sie die Therapie im Ambulanticum?

Ich finde es hier super. Die Therapie bekommt mir wirklich gut. Das Training ist effektiv, aber auch sehr anstrengend. Darum finde ich es sinnvoll und richtig, dass auf die vierwöchigen Trainingsphasen auch immer wieder Auszeiten folgen. Jede Trainingsphase bringt mich einen Schritt vorwärts. Die Trainingseinheiten und die Abstimmung der Physio-Ergo-, Logopädie- und Sporttherapie koordinieren meine Paten ganz hervorragend gezielt und individuell. Ich laufe täglich. Manche Einheiten mit gerätetechnischer Unterstützung wie im Lokomat und immer wieder am Unterarm-Rollator. Meine Selbstständigkeit in dieser Therapie zun erleben, motiviert mich sehr.  

Welche Ziele möchten Sie mit dem Training erreichen?

Grundsätzlich möchte ich so viel Selbstständigkeit und Mobilität wie möglich zurückerlangen. Ich möchte mein Gleichgewicht halten, selbstständig aufstehen, am Rollator laufen können. Am Computer arbeiten und eigenständig essen. Diese Wünsche habe ich durch das Ambulanticum in Ziele formuliert. Und hier merke ich auch, dass es machbar ist, diese Ziele zu erreichen. Vielleicht nicht alle und nicht in schnellen Schritten – aber kontinuierlich.  

Was haben Sie durch das Training bisher erreicht?

Das Team vom Ambulanticum hat hervorragende Arbeit geleistet und mir zu vielen Fortschritten verholfen. Grundsätzlich sind alle Funktionen der Arme und Beine, die ich zu Beginn der Therapie hatte, viel stabiler und selbstverständlicher geworden. Ich kann mittlerweile viel besser sitzen. Meine gesamte Rumpfstabilität hat sich enorm verbessert. Dabei hilft mir das Aufstehtraining sehr. Auch bin ich viel mobiler als zuvor und sitze viel öfter im Aktivrollstuhl. Ich weiß jetzt, wie ich meine Arme einsetzen kann und muss, um mich darin sicher fortzubewegen. Nicht immer auf den E-Rollstuhl angewiesen zu sein – das ist ein weiteres Ziel von mir. Das setzt aber voraus, dass der Transfer vom Rollstuhl in ein normales Auto funktioniert. Und das ist jetzt noch nicht möglich –  aber eines meiner zukünftigen Ziele. 

Die Therapie

Die Intensivtherapien im Ambulanticum folgen einem bewährten Behandlungsablauf, der Patient:innen und Angehörige in die Planung und Zielsetzung der Therapie miteinbezieht. Auf diese Weise entstehen sehr individuelle Trainingspläne, die kontinuierlich an die Fortschritte angepasst werden. Die Therapieeinheiten von Borislav Davidkov waren in kleine Choreografien unterteilt: Die erarbeiteten Fähig- und Fertigkeiten konnten so schrittweise in den Alltag übertragen werden. Der Patient lernt, welche Abläufe er alleine meistern kann und wo noch Unterstützung notwendig ist. Da auch Angehörige mit diesen Choregrafien und Abläufen vertraut gemacht werden, wird der gemeinsame Alltag – der Übertrag von der Therapie- zur Heimphase zu Hause – erleichtert.

Weitere Informationen zur Therapie im Ambulanticum gibt es unter www.ambulanticum.de

 

Sehen, was möglich ist.

Joost Meyer trainiert im Ambulanticum für ein selbstständiges Leben

Joost Meyer war auf dem Weg zu einer Freundin, um an der Disposition für seine Promotion zu arbeiten, als sich sein Leben von einer Sekunde auf die nächste veränderte: Bei einem Auffahrunfall auf der Autobahn wurde er schwer verletzt, sein erster Lendenwirbel brach, das Rückenmark wurde zerstört. Das war im Januar 2020. Seitdem ist der 45-Jährige von der Hüfte abwärts gelähmt. Diagnose: komplette schlaffe Paraplegie, Querschnittslähmung. Nach der OP war er vier Monate zur Erstmobilisation im Krankenhaus. Rund ein Jahr später kam Joost Meyer zum ersten Mal ins Ambulanticum. Dort trainiert er regelmäßig für mehr Selbstständigkeit und Unabhängigkeit im Alltag.

Gemeinsam Ziele setzen und erreichen

Den Weg ins Ambulanticum fand Joost Meyer über seinen Rehaberater. „Der hat mir direkt gesagt: Das passt zu dir. Geh´ dahin´“, erinnert sich der Bildhauer und Wissenschaftler. Er folgte dem Rat, vereinbarte ein Vorgespräch und war sofort überzeugt. „Ich fand das Konzept im Ambulanticum von Anfang an sehr, sehr cool.“ Im Mai 2021 begann seine erste Intensivtherapie in der Herdecker Einrichtung, im September dieses Jahres war er bereits zur dritten Therapiephase da. „Für mich ist es Luxus, dass ich hierhin kommen kann“, so der Aachener. „Es gibt einen Therapieplan, der individuell für mich erarbeitet wird. Die Therapeutinnen und Therapeuten besprechen mit mir, was meine Ziele sind. Und gemeinsam denken wir darüber nach, wie wir diese erreichen können.“

 

Körpergefühl und Koordination verbessern

Und diese Ziele verändern sich von Therapie zu Therapie. Sind erste „Meilensteine“ erreicht, werden neue gesetzt. „Meine Ziele sind quasi mitgewachsen“, bestätigt der Ambulanticum-Patient. Noch vor einem Jahr war es für ihn eine Herausforderung, auf der Bettkante zu sitzen und ein T-Shirt anzuziehen, ohne nach vorne zu kippen. „Das ist heute kein Problem mehr. Darüber denke ich gar nicht mehr nach“, so Meyer.

Sein Körpergefühl und seine Koordination haben sich verbessert, die Rumpfmuskulatur ist stärker geworden – ob beim Training im Spacecurl, durch Einheiten am Reitsimulator oder Übungen auf dem Lokomat®Pro, bei denen er während der aufrechten Gangbewegungen seine „Muskulatur wiederentdecken kann“, wie er es nennt. „Ich fühle mich insgesamt fitter und bin viel sicherer geworden.“ Treppen, hohe Bürgersteige oder andere Hindernisse, die Rollstuhlfahrern in ihrem Alltag immer wieder begegnen, machen ihm kein Kopfzerbrechen mehr. „Ich weiß: Wenn ich muss, komme ich da hoch. Wenn es darauf ankommt, geht das. Und das gibt mir eine unglaubliche Sicherheit.“

 

Kanufahren mit Querschnitt

Mittlerweile spielt Joost Meyer in seiner Freizeit Rollstuhl-Handball, trainiert einmal in der Woche und nimmt an Turnieren teil. „Dabei war es für mich ein Horrorerlebnis, als ich im Krankenhaus kurz nach dem Unfall eine Gruppe gesehen habe, die im Rollstuhl Ballsport gemacht hat. Ich habe nur gedacht: Und da gehörst du jetzt zu“, erinnert er sich an die schwierige Zeit nach dem Unfall. Dass Joost Meyer nicht aufgegeben und das Leben nach dem Unfall angenommen hat, liegt auch an seinen zwölf und 15 Jahre alten Töchtern. „Sie waren und sind mein Antrieb“, sagt er. Mit den Mädchen gemeinsam zelten und Kanufahren – das soll auch weiterhin möglich sein. „Ich setze mir Ziele mit und über die Kinder – und dann ziehe ich das durch.“

So trainierte er auch während der Therapie im Ambulanticum für einen Kanuausflug. „Für die Rumpfmuskulatur ist das eine totale Belastung“, weiß Joost Meyer, der mit seinen Therapeut:innen gezielt Muskeln für die Tour auf dem Wasser aufbaute, seine Koordination weiter schulte und viele Trockenübungen machte, bevor er es zur Praxiseinheit auf den nahegelegenen Hengsteysee ging.

Perspektivwechsel

„Und es hat alles super geklappt“, freut sich Joost Meyer darüber, wieder etwas geschafft zu haben, was nach seinem Unfall zunächst unerreichbar schien. Zu sehen, was möglich ist – das war auch schon vor dem Unfall eine Eigenschaft des 45-Jährigen. „Das ist eine Stärke von mir, zu versuchen, das Beste daraus zu machen“, erklärt er. Natürlich sei das mit einem Querschnitt erst einmal extrem. Extrem schwierig. „Aber ich habe eine Neugierde empfunden, was gehen kann.“ Durch den Unfall habe sich seine Perspektive geändert – im positiven Sinn. Selbst wenn viele Dinge anders und manche verloren seien. „Es ist viel hinzugekommen. Vor allem eine neue Wertschätzung für das Leben“, sagt Joost Meyer voller Überzeugung und fügt mit einem Lächeln hinzu: „Ich weiß, das klingt sehr groß. Aber genauso ist es.“

Rollator statt Rollstuhl

Udo Rahm lernt nach schwerem Schlaganfall das Laufen neu

Udo Rahm geht zwei Schritte. Dann setzt er den Gehstock nach vorne. Die Füße folgen. Konzentriert bewegt sich der 69-Jährige über die Flure des AMBULANTICUM. Langsam. Aber er läuft. „Das war vor zwei Jahren noch undenkbar“, sagt seine Frau, Elisabeth Rahm. Ein schwerer Schlaganfall hatte Udo Rahm 2018 in den Rollstuhl gebracht. Mit der Intensivtherapie im AMBULANTICUM hat er sich wieder herausgekämpft.

Prognose: Rollstuhl auf Lebenszeit

Das Leben von Elisabeth und Udo Rahm nahm im Dezember 2018 seine einschneidende Wendung. Udo Rahm erlitt einen schweren Schlaganfall. Seine rechte Seite war sofort gelähmt. Er konnte nicht sprechen, war völlig teilnahmslos. Als dann auch noch ein Herzinfarkt hinzukam, ging „erst einmal gar nichts mehr“, erinnert sich Elisabeth Rahm an diese schweren Zeiten. Auch die Prognose, die die Ärzte im Krankenhaus stellten, machte wenig Hoffnung: Rollstuhl auf Lebenszeit.

Enorme Fortschritte

Dass diese Prognose nicht Wirklichkeit wurde, hat das Ehepaar einem Zufall zu verdanken, der die Bochumer ins Herdecker AMBULANTICUM führte: „Unsere Tochter hatte eine Klientin, die im AMBULANTICUM enorme Fortschritte gemacht hat“, so Elisabeth Rahm. Sie informierte sich über die ambulante Therapieeinrichtung und beantragte eine Intensivtherapie bei ihrer Krankenkasse, der Barmer. Sechs Wochen ambulante Therapie wurden genehmigt – und von Erfolg gekrönt.

Im Rollstuhl rein – zu Fuß raus

„Mein Mann ist mit dem Rollstuhl ins AMBULANTICUM rein und zu Fuß wieder raus“, erzählt Elisabeth Rahm glücklich. Angereist war sie im Mai 2020 mit der kleinen Hoffnung, dass ihr Mann besser stehen können wird, um die Pflege zu erleichtern. „Aber dass er wieder läuft …das hätte ich niemals für möglich gehalten.“ Sie lächelt und ihr Mann nickt bestätigend. Noch heute leidet er an Aphasie, kann nicht sprechen, nur einzelne Worte artikulieren. Doch auch ohne Worte ist seine Motivation zu spüren. Ob er zur nächsten Therapieeinheit den Aufzug nehmen will? „Nein!“, sagt Udo Rahm deutlich, schüttelt den Kopf und steht langsam auf. Denn auch Treppen kann er mittlerweile wieder gehen.

Hilfestellung für Angehörige

Mittlerweile sind Elisabeth und Udo Rahm zur zweiten Intensivtherapie im Ambulanticum – mit einem neuen Ziel: Sicher am Rollator gehen. Dabei helfen ihm gerätegestützte Therapieneinheiten auf dem Lokomaten, Physiotherapie und Ergotherapie. Und auch Elisabeth Rahm bekommt während der Therapietage zahlreiche Hilfestellungen für den Alltag zu Hause – und findet immer auch ein offenes Ohr. „So eine Diagnose betrifft ja auch die Angehörigen und stellt das ganze gemeinsame Leben auf den Kopf“, erklärt die 65-Jährige. „Da ist es eine große Hilfe, dass die Therapeuten auch auf meine Fragen eingehen.“

Den neuen Alltag meistern

Seit dem Schlaganfall pflegt sie ihren Mann, fährt ihn zur Ergotherapie, begleitet ihn bei den Aufenthalten im Ambulanticum. Das gemeinsame Haus in Bochum wurde um- und ein Aufzug an der Außenfassade angebaut. In den Wohnräumen liegen Gymnastikball, Sitzkissen oder Therabänder für die täglichen Übungen bereit. Auch wenn der neue Alltag zuweilen schwierig und die wortlose Kommunikation zwischen dem Ehepaar anstrengend ist – aufgeben war für beide keine Option. „Wir sind seit 47 Jahren verheiratet. Ein Pflegeheim kam nie in Frage“, betont Elisabeth Rahm. „Wir haben unseren Weg gefunden, mit der Situation umzugehen – und das Ambulanticum, das uns dabei unterstützt.“

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