„Erst einmal ist nichts unmöglich.“
Michael Tacke trainiert nach schwerem Fahrradunfall für mehr Selbstbestimmtheit.
„Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so weit komme.“ Als Michael Tacke das sagt, lächelt er leicht, mit nachdenklichem Blick. Die letzten fünf Jahre waren für den fast 60-Jährigen eine Achterbahnfahrt, die mit einem schweren Fahrradunfall begann und ihn schließlich ins Ambulanticum führte. In dem Herdecker Therapiezentrum arbeitet er sich aus dem Rollstuhl zurück in ein unabhängigeres und selbstbestimmtes Leben.
Sturz in den Graben
Der Arbeitstag war lang und anstrengend. Als Michael Tacke im Oktober 2017 auf sein Fahrrad stieg, um endlich nach Hause zu kommen, war es schon dunkel. Plötzlich wechselte der Untergrund von Asphalt zu Rasen, das Rad überschlug sich, Michael Tacke landete in einem Graben – und konnte sich vom Hals abwärts nicht mehr bewegen. Inkompletter Querschnitt aufgrund gebrochener Hals- und Brustwirbel war die Diagnose, mit einer Prognose hielten sich die Ärzte zurück. „Das war für mich gut“, blickt Michael Tacke zurück, „weil ich immer noch die Hoffnung hatte, es ist noch was möglich.“ Denn eines war dem Gütersloher sofort klar, als er nach einer achtstündigen Operation wach wurde: So möchte er sein Leben nicht weiterführen.
Liegenbleiben oder loslegen
Ein Therapeut in der Bad Wildungener Spezialklinik, in der Michael Tacke fast acht Monate lang behandelt und therapiert wurde, gab den entscheidenden Ausschlag: „Er sagte mir, ich könnte einfach im Bett liegen bleiben oder versuchen, was geht“, blickt der ehemalige Sparkassen-Angestellte zurück. Und Michael Tacke entschied sich für den Versuch: Mit seinem Therapeuten arbeitete er intensiv, wieder zu Hause ging er vier Mal in der Woche zur Physio- und Ergotherapie. Von seinem Arzt, der als Ansprechpartner von der Unfallkasse bestellt worden war, bekam er dann die Empfehlung, ins Ambulanticum zu gehen. 2019 hatte Michael Tacke dort seine erste Therapiephase. „Damals bin ich noch im Rollstuhl ins Ambulanticum reingekommen“, erinnert er sich. Heute benutzt er dieses Hilfsmittel nur noch im Badezimmer. Alles andere erledigt Michael Tacke mit seinem Rollator.
Jeder einzelne Patient im Mittelpunkt
„Das war eine der ersten Fragen, die mir das Therapeutenteam gestellt hat, als es um meinen Tagesablauf zu Hause ging: Warum machst du das nicht mit dem Rollator?“, sagt Michael Tacke und muss schmunzeln. „Ja, warum eigentlich nicht?“, habe er dann auch gedacht. Diese Denkweise hat er im Laufe der Therapien verinnerlicht: Warum eigentlich nicht? Gemeinsam mit seinem Therapeutenteam probiert er vieles einfach aus. Mal versucht er, Tischtennis zu spielen, mal fährt er auf einem Roller – und beides gelingt. Neben der gerätegestützten Therapie im Lokomat, am C-Mill oder im Space Curl ist das für ihn eine Besonderheit des Ambulanticum: „Erst einmal ist nichts unmöglich. Jeder einzelne Patient steht mit seinen Möglichkeiten und Zielen im Mittelpunkt, und die Therapeut*innen gehen den Weg engagiert mit“, so sein Eindruck.
Was alles möglich ist
Mittlerweile hat Michael Tacke auch wieder ein Fahrrad, eine spezielle Anfertigung, mit der er vor allem in den Sommermonaten viel unterwegs ist. Und auch sonst ist der fast 60-Jährige aktiv, engagiert sich im Behindertenbeirat der Stadt Gütersloh, nimmt immer mehr am Leben teil. „Das habe ich auch dem Ambulanticum zu verdanken“, sagt er. „Mir fehlen manchmal die Worte, was hier möglich gemacht wurde. Das habe ich nirgendwo anders erlebt.“