Der Wille, helfen zu wollen

Assistenten im Alltag unterstützen bei Ambulanticum-Aufenthalt

Für Borislav Davidkov war es ein ganz normaler Arbeitstag. Der Architekt hatte eine Besprechung, stand vor vielen Menschen in einem Raum mit wenig Sauerstoff. Auf einmal brach er zusammen, schlug mit dem Kopf auf dem Tisch auf, wurde bewusstlos – und wachte in einer völlig neuen Lebenssituation wieder auf: Seit dem Unfall ist der 53-Jährige vom Hals abwärts gelähmt. Im Ambulanticum möchte er sich einen möglichst normalen, selbstständigen Alltag erarbeiten. Dabei bekommt er Unterstützung von den „Assistenten im Alltag“. Der Assistenzdienst aus Unna begleitet und betreut den Frankfurter während seiner Intensivtherapie – 24 Stunden lang, rund um die Uhr.

Aufstehen, vom Bett in den Rollstuhl kommen, waschen, essen. Bei all diesen Tätigkeiten braucht Borislav Davidkov Hilfe. Durch seinen inkompletten Querschnitt hat er eine schwache Rumpfstabilität. Lange Zeit konnte er nicht ohne Rückenlehne oder auf einem normalen Stuhl sitzen. Es fällt ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten und seine Beine zu nutzen. Auch die Arme sind in den Bewegungen eingeschränkt, die Hände kann er nur leicht einsetzen. Die ambulante Therapie im Ambulanticum – die Wechsel zwischen den Therapieräumen, die Trink- und Essenspausen – wären ohne Assistenten für ihn nicht machbar. „Trotzdem ist eine Therapie bei uns möglich“, betont Marion Schrimpf, Geschäftsführerin der Herdecker Einrichtung.

Ängste nehmen. Vertrauen aufbauen.

Nach Sichtung aller Anträge, Untersuchungsergebnisse und Klinikunterlagen griff sie zum Telefon und schlug Borislav Davidkov für die Therapiephasen die Zusammenarbeit mit einem Assistenzdienst vor. Der nahm den Vorschlag an und Kontakt zu Mark Oberstadt, Gründer und Geschäftsführer der „Assistenten im Alltag“, auf. „Ich wusste nicht, was mich erwartet, war unsicher und hatte viele Fragen“, erinnert sich der Ambulanticum-Patient an das erste Telefonat. Doch die Sorgen wurden ihm schnell genommen. „Ich habe sofort den Eindruck bekommen: Das sind erfahrene Leute, die kennen sich aus. Die Zuversicht, die verbreitet wurde, hat auch meine letzten Zweifel beseitigt.“ Ängste nehmen. Vertrauen aufbauen. Zuhören. Das ist Mark Oberstadt und seinem Team sehr wichtig. „Wir verbringen ja viel Zeit mit unseren Kunden, unterstützen auch in Pflege- oder privaten Situationen. Da muss die Chemie stimmen – und das Vertrauen auch.“

Möglich machen, was möglich sein muss

Auf das erste Telefonat folgte ein Kennenlerntag, an den beide schmunzelnd zurückdenken: Als die Assistenten mit ihrem Transporfahrzeug – einem Caddy – vorfuhren, war dem 1,95 Meter großen Borislav Davidkov sofort klar: „Mit Elektrorollstuhl passe ich da nicht rein“. Und er sollte recht behalten. „Da hatte ich mich etwas verschätzt“, erzählt Mark Oberstadt und muss bei der Erinnerung lachen. Ein Hinderungsgrund für eine Zusammenarbeit war das aber nicht. Der Geschäftsführer des Unnaer Assistenzdienstes schaffte kurzerhand ein größeres Fahrzeug an: „Wir versuchen immer, möglich zu machen, was möglich sein muss.“

Enge Abstimmung: Ambulanticum und Assistenzdienst

Der Fahrdienst vom Appartment zum Ambulanticum ist allerdings nur eine von vielen Aufgaben, die das Assistenzteam übernimmt. Zwischen acht bis neun Assistent:innen,- darunter auch Pflegekräfte – kümmern sich im Wechsel, aufgeteilt in Tages- und Nachtschichten, um die 24-Stunden-Betreuung. Sie kaufen ein, kochen, helfen bei der Körperpflege, beim Umziehen, beim Transfer in den Rollstuhl und unterstützen während der Therapiezeiten, wann und wo es nötig ist.

Dabei arbeitet das Team eng mit dem Ambulanticum zusammen. So wurde zum Beispiel der Therapieablauf flexibel geregelt: „Da die Morgenroutine vom Weckerklingeln bis zur Abfahrt mit dem Transporter rund drei Stunden benötigt, fängt für Herrn Davidkov kein Therapietag vor 10 Uhr an“, erklärt Mark Oberstadt. „Die Zusammenarbeit mit dem Ambulanticum läuft sehr gut. Wir werden problemlos miteingebunden und das wirkt sich natürlich auch positiv auf die Betreuung aus.“ Für Borislav Davidkov hat die Kooperation zwischen Ambulanticum und Assistenzdienst die ambulante Therapie erst möglich gemacht – und geholfen auch Probleme und Unwägbarkeiten auf dem Weg zu meistern. „Es war und ist mir ganz wichtig, dass die Motivation und der Wille da sind, mir helfen zu wollen. Und beides war immer da.“

 

IM GESPRÄCH

„Im Ambulanticum merke ich, was machbar ist.“

Borislav Davidkov setzt sich in der Intensivtherapie immer neue Ziele

Lange Klinik- und Rehaaufenthalte, Ergo- und Physiotherapieeinheiten: Seit seiner unfallbedingten Querschnittlähmung vor zwei Jahren hat Borislav Davidkov schon einige Therapien und Anwendungen kennengelernt. Ein Jahr nach dem Unfall erkannte er Fortschritte in seiner körperlichen Entwicklung. In den heimischen Therapie-Einheiten gelangen Stehversuche und bald auch erste Gehversuche. Er suchte nach einer Therapie, die ihn noch intensiver unterstützt. Die Intensivtherapie im Ambulanticum ist für ihn ein neuer Ansatz: Seit August 2021 trainiert er in der Herdecker Einrichtung 5,5 Stunden täglich an fünf Tagen in der Woche. Im Interview spricht er über seine Therapie und seine Ziele.

Wie erleben Sie die Therapie im Ambulanticum?

Ich finde es hier super. Die Therapie bekommt mir wirklich gut. Das Training ist effektiv, aber auch sehr anstrengend. Darum finde ich es sinnvoll und richtig, dass auf die vierwöchigen Trainingsphasen auch immer wieder Auszeiten folgen. Jede Trainingsphase bringt mich einen Schritt vorwärts. Die Trainingseinheiten und die Abstimmung der Physio-Ergo-, Logopädie- und Sporttherapie koordinieren meine Paten ganz hervorragend gezielt und individuell. Ich laufe täglich. Manche Einheiten mit gerätetechnischer Unterstützung wie im Lokomat und immer wieder am Unterarm-Rollator. Meine Selbstständigkeit in dieser Therapie zun erleben, motiviert mich sehr.  

Welche Ziele möchten Sie mit dem Training erreichen?

Grundsätzlich möchte ich so viel Selbstständigkeit und Mobilität wie möglich zurückerlangen. Ich möchte mein Gleichgewicht halten, selbstständig aufstehen, am Rollator laufen können. Am Computer arbeiten und eigenständig essen. Diese Wünsche habe ich durch das Ambulanticum in Ziele formuliert. Und hier merke ich auch, dass es machbar ist, diese Ziele zu erreichen. Vielleicht nicht alle und nicht in schnellen Schritten – aber kontinuierlich.  

Was haben Sie durch das Training bisher erreicht?

Das Team vom Ambulanticum hat hervorragende Arbeit geleistet und mir zu vielen Fortschritten verholfen. Grundsätzlich sind alle Funktionen der Arme und Beine, die ich zu Beginn der Therapie hatte, viel stabiler und selbstverständlicher geworden. Ich kann mittlerweile viel besser sitzen. Meine gesamte Rumpfstabilität hat sich enorm verbessert. Dabei hilft mir das Aufstehtraining sehr. Auch bin ich viel mobiler als zuvor und sitze viel öfter im Aktivrollstuhl. Ich weiß jetzt, wie ich meine Arme einsetzen kann und muss, um mich darin sicher fortzubewegen. Nicht immer auf den E-Rollstuhl angewiesen zu sein – das ist ein weiteres Ziel von mir. Das setzt aber voraus, dass der Transfer vom Rollstuhl in ein normales Auto funktioniert. Und das ist jetzt noch nicht möglich –  aber eines meiner zukünftigen Ziele. 

Die Therapie

Die Intensivtherapien im Ambulanticum folgen einem bewährten Behandlungsablauf, der Patient:innen und Angehörige in die Planung und Zielsetzung der Therapie miteinbezieht. Auf diese Weise entstehen sehr individuelle Trainingspläne, die kontinuierlich an die Fortschritte angepasst werden. Die Therapieeinheiten von Borislav Davidkov waren in kleine Choreografien unterteilt: Die erarbeiteten Fähig- und Fertigkeiten konnten so schrittweise in den Alltag übertragen werden. Der Patient lernt, welche Abläufe er alleine meistern kann und wo noch Unterstützung notwendig ist. Da auch Angehörige mit diesen Choregrafien und Abläufen vertraut gemacht werden, wird der gemeinsame Alltag – der Übertrag von der Therapie- zur Heimphase zu Hause – erleichtert.

Weitere Informationen zur Therapie im Ambulanticum gibt es unter www.ambulanticum.de

 



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