Bessere Bewegung durch Neuroathletik

Sportwissenschaftler Lars Lienhard über den Einsatz seines Konzepts in der Neurologie

Dass er Sport zu seinem Beruf machen würde, war Lars Lienhard immer klar. „Es gab keinen Plan B, keine andere Option“, so der Sportwissenschaftler, der als Trainer, Ausbilder und Berater im Spitzensport tätig ist. „Was sich aber daraus entwickelt hat – das ist schon toll“, fügt der 50-Jährige hinzu, der schon mit Olympiasieger Alexander Zverev oder auch der deutschen Fußballnationalmannschaft gearbeitet hat und dabei auf einen besonderen Trainingsansatz setzt. Denn Lars Lienhard ist Namensgeber des Neuroathletiktrainings (NAT), bei dem Gehirn und Nervensystem als zentrale Elemente der Bewegungssteuerung ins „klassische“ Athletiktraining einbezogen werden. Bei einer Fortbildung im Ambulanticum hat der Experte demonstriert, wie sein Konzept auch in der neurologischen Nachsorge funktioniert – und sich Zeit für ein Interview genommen.

Was unterscheidet das klassische Athletiktraining von der Neuroathletik?

Die Neuroathletik ist eine noch sehr junge Disziplin und Herangehensweise. Athletiktraining bereitet die physischen Komponenten eines Athleten auf den Wettkampf vor, während es bei der Neuroathletik um die sogenannten neuronalen Aspekte geht. Wir haben mit unserer Arbeit neurozentrierte Ansätze etabliert. Das heißt: Wir haben das Gehirn, das die Bewegung steuert – also quasi die „Software“ – in den Fokus genommen. Denn das Gehirn reguliert den Organismus. Jeder Bewegungsbefehl, der an den Muskel gegeben wird, wird vom Gehirn erstellt. Und mit dieser Schnittstelle arbeite ich, da setze ich an.

Wann ist es sinnvoll, mit Neuroathletik zu arbeiten?

Von Spitzensportlern wird Neuroathletik genutzt, um sich auf den Wettkampf vorzubereiten und eine bestmögliche Bewegungsoptimierung zu erzielen. Jede Bewegung hat ein neuronales Profil. Die bewegungssteuernden Systeme – wie das Gehirn und das Nervensystem – müssen bereit sein, diese Bewegungsabläufe zu erfüllen. Daher wird die Neuroathletik zum Beispiel auch eingesetzt, wenn es technische Probleme gibt, wenn Bewegungs- und Steuerungsprobleme da sind. Oder wenn Schmerzen auftreten.

Gibt es bestimmte Sportarten oder -bereiche, auf die Sie spezialisiert sind?

Die Bandbreite der Sportlerinnen und Sportler, mit denen ich arbeite, ist sehr groß. Ich arbeite viel im Wintersport, in der Leichtathletik – aus der ich ja sportlich herkomme – und natürlich auch im Fußball. Damit hat alles angefangen. Ich war als Betreuer bei der Fußball-WM 2014 in Brasilien dabei. Auch heute betreue ich immer wieder mal Fußballmannschaften, arbeite aber zum Beispiel auch mit Einzelsportlern wie Olympiasieger Alexander Zverev. Aber letztendlich spielt die Sportart an sich keine Rolle für meine Arbeit, da ich Bewegung korrigiere. Deshalb gelingt auch ein Transfer zu den Patientinnen und Patienten im Ambulanticum so gut. Dort geht es ja um die Bewegungsoptimierung von Menschen, die neuromotorische Probleme haben.

Haben Sie zuvor schon mal mit neurologischen Patienten mit Ihrem neuroathletischen Ansatz gearbeitet?

Nein. Das war in meiner Karriere bisher einmalig und ein Novum für mich und meine Tätigkeit. Ich präsentiere mein Konzept meistens im Sport-  und Fitnessbereich oder in Verbänden. Aber in privaten Institutionen, die sich auf neurologische, pathologische Systeme spezialisiert haben, war ich vorher noch nicht. Aber genau da gehört die Neuroathletik auch hin. Athleten haben ja quasi ein „Nobelproblem“, wenn sie die Bewegungssteuerung optimieren möchten und müssen. Die Patienten im Ambulanticum brauchen diese Unterstützung aber extrem. Sie brauchen jede Art der Verbesserung, die sie bekommen können.

Wie haben Sie die Fortbildung im Ambulanticum gestaltet?

Es war eine zweitätige Fortbildung mit dem ganzen Therapieteam und – was wirklich toll war – auch mit drei Patienten. So konnten wir schauen, wie der Ansatz der Neuroathletik auf bestimmte Diagnosen übertragen werden kann beziehungsweise welche Komponenten wir durch neurozentriertes, neuroathletisches Training optimieren können, um den Patienten noch zusätzlich zu helfen.

Können Sie ein Beispiel aus der Arbeit mit den Patienten am Ambulanticum nennen?

Eine Patientin hatte große Gangschwierigkeiten und konnte eine komplette Seite nicht ansteuern. Das heißt, die Bewegung war sehr instabil. Wir haben mit reflexiver Stabilisierung über das Gleichgewicht gearbeitet und das Gleichgewichtsorgan über verschiedenste Techniken stimuliert, zum Beispiel mit einem visuellen System für die räumliche Orientierung. Und es wurden deutliche Fortschritte sichtbar, die Bewegungen der Patientin waren sicherer. Das habe ich gesehen, das haben die Therapeuten gesehen und – was viel wichtiger ist – die Patientin hat gespürt, dass ihr die Bewegungen leichter fallen.

 Welchen Eindruck haben Sie vom Ambulanticum und seiner Arbeit bekommen?

Ich finde das Konzept des Ambulanticums sehr spannend. Sie gehen ihre eigenen Wege und wollen wirklich etwas für und mit den Patienten verbessern. Das habe ich so selten erlebt. Und ich kann mir auch vorstellen, ein Konzept für die Arbeit mit Menschen mit neurologischen Beeinträchtigungen zu entwickeln – auch wenn das nicht bei jedem Krankheitsbild gehen wird. Aber so etwas zu implementieren, das wäre schon toll.

 



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