10 Jahre Ambulanticum: Im Gespräch mit Marion Schrimpf und Dr. Bernhard Krahl
2007 erlitt Dr. Bernhard Krahl zwei schwere Schlaganfälle, die er nur knapp überlebte. Der Zahnarzt und Inhaber eines Dental-Spezialartikel Unternehmens kämpfte sich entgegen allen Prognosen zurück ins Leben. 2012 gründete der heute 74-Jährige gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Marion Schrimpf das Ambulanticum, ein interdisziplinäres Therapiezentrum für Kinder und Erwachsene mit Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Menschen, die nach Schlaganfällen, Querschnittlähmungen, Schädelhirntraumata, ICP und Diagnosen wie Multipler Sklerose oder Parkinson wieder auf die Beine kommen möchten. Seit zehn Jahren finden sie im Ambulanticum Unterstützung und Hoffnung. Wie die Gründer und Geschäftsührer der Herdecker Therapieeinrichtung diese Zeit erlebt haben, welche Herausforderungen sie meistern mussten und was sie sich für die Zukunft wünschen, erzählen Marion Schrimpf und Dr. Bernhard Krahl im Interview.
10 Jahre Ambulanticum: Wenn Sie darüber nachdenken, was kommt Ihnen als erstes in den Sinn?
Dr. Bernd Krahl:
Zuallererst sind es unglaublich viele Erfolgsgeschichten, an die ich denke. Damit meine ich die Erfolge des Ambulanticum selbst. Es entspricht mit seinem Therapiekonzept nicht dem etablierten System, hat sich gegen viele Widrigkeiten durchgesetzt und neue therapeutische Maßstäbe definiert. Und natürlich denke ich auch an die Erfolge unserer Patient:innen.
Marion Schrimpf:
Wir sind stolz auf diese zehn Jahre. Stolz, dass wir bewiesen haben, dass der von uns gelebte patientenorientierte Ansatz funktioniert und dass Menschen, die als austherapiert abgestempelt werden, mit den richtigen Mitteln und Methoden großartige Fortschritte erreichen können. Sie erlangen Autonomie, Selbstbewusstsein und Handlungsfähigkeit wieder. Das motiviert uns, weiterzumachen. 10 Jahre Ambulanticum sind ein guter Anfang. Aber es gibt noch viel zu tun, damit eine effiziente und effektive Therapie wie wir sie im Ambulanticum vorleben, zur Regelversorgung wird.
Wie haben Sie die Anfänge des Ambulanticum erlebt?
Dr. Bernhard Krahl:
Es gab sehr viele Schwierigkeiten. Wir mussten uns von unseren Gründungspartnern trennen. Es gab quasi eine „Vollbremsung“ bei der Finanzierung, später dann waren alle finanziellen Ressourcen aufgebraucht und wir standen kurz vor der Insolvenz. Mit unserem privaten Vermögen sind wir dann volles Risiko gegangen. Wir haben weiter an das Projekt geglaubt – immer mit dem Ziel, unseren Patienten Hoffnung und eine neue Lebensperspektive zu geben.
Was waren auf dem Weg von den Anfängen bis zum 10. Geburtstag besondere Herausforderungen?
Marion Schrimpf:
Die bisher größte Herausforderung war die Anerkennung des Therapiekonzeptes in der Nachsorge durch die Kostenträger. Und diesen Kampf fechten wir bis heute aus. Wir kämpfen unentwegt dafür, das Konzept der Intensivtherapie im AMBULANTICUM® in die Regelversorgung zu bringen und diese Form der Therapie als eine eigene Säule neben der bestehenden medizinischen und pflegerischen Versorgung im Gesundheitssystem zu etablieren. Um das zu erreichen, haben wir ein interdisziplinäres Therapiekonzept erarbeitet, ein breites internationales Netzwerk aufgebaut und ein Team aus Therapeut:innen zusammengestellt, das unsere Vision mit uns trägt und vorantreibt.
Trotz aller Anfangsschwierigkeiten und Herausforderungen: Würden Sie diesen Schritt der Gründung noch einmal gehen?
Marion Schrimpf:
Ja, die Gründung des AMBULANTICUM® war ein notwendiger Schritt. Therapieeinrichtungen wie unsere werden dringend gebraucht.
Aber die letzten zehn Jahre haben auch gezeigt: So ein Projekt ist keines, das man nur aus Vernunftgründen angeht. Für so ein Projekt muss man brennen. Ansonsten überlebt man in unserem streng reglementierten Gesundheitssystem nicht – insbesondere, wenn man keine Wegbegleiter hat und alles – wie wir – selbst finanziert.
Wofür steht das Ambulanticum Ihrer Ansicht nach heute?
Marion Schrimpf:
Das Ambulanticum steht für ein einmaliges Konzept für Kinder und Erwachsene mit einer erworbenen Erkrankung des zentralen Nervensystems (ZNS). Unsere Therapie stellt unsere Patient:innen in den Mittelpunkt. Wir vereinen alle therapeutischen Maßnahmen verschiedener Disziplinen individuell zum Wohle der Patient:innen und bringen sie in Einklang, um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen.
Dr. Bernhard Krahl:
Im AMBULANTICUM ermöglicht man den angeblich „austherapierten“ Patient:innen eine erfolgreiche individualisierte Intensivtherapie. Sogar nach vielen Jahren der Erkrankung machen sie noch Fortschritte und kommen ihrem Ziel wieder ein Stück näher. Darum steht das Ambulaticum für Hoffnung, die es den Menschen gibt, die als austherapiert gelten. Wir haben gezeigt, dass es sich lohnt, nach zeitgemäßen anderen Wegen zu suchen und nicht aufzugeben – und dass die Diagnose „austherapiert“ noch lange nicht das Ende ist.
Wie sehen Sie die Zukunft: Was möchten Sie mit dem und für das Ambulanticum und seine Patienten noch erreichen?
Dr. Bernhard Krahl:
Wir werden das Ambulanticum in eine Stiftung umwandeln. So ist die Unabhängigkeit und Entscheidungsfreiheit langfristig gewährleistet – auch nach unserem Ausscheiden. Wir möchten, dass dieses zielführende Trainingstherapiekonzept des Ambulanticum von allen Kostenträgern akzeptiert wird und alle Kinder und Erwachsene mit einer Erkrankung des ZNS in naher Zukunft davon profitieren können.
Marion Schrimpf:
Dafür muss allerdings ein Umdenken in Gesellschaft und Politik erreicht werden. Die bürokratischen Hürden für eine solche Therapie müssen abgebaut werden. Und vor allem dürfen solche Therapiemöglichkeiten nicht am Geld scheitern. Bei einem sowieso schon unfairen Kampf, in dem es darum geht, sich Dinge „zurückzuerobern“, die den meisten Menschen selbstverständlich erscheinen, sollten zumindest alle die gleichen Chancen haben. Und die Hoffnung, wieder ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.